Hex Hall 02 - Hawkins, R: Hex Hall 02
Kiesauffahrt hinunter. »Einfach herrlich. Riechst du das, Sophie?«
»Äh … was soll ich riechen?«
»Lavendel. Er wächst in jedem Garten auf dem Gelände der Thorne Abbey. An Abenden wie diesen duftet er besonders angenehm.«
Versuchsweise schnupperte ich noch mal nach. Er hatte recht, es roch wirklich ganz gut, und der Abend war einfach traumhaft. Die Luft war weder zu warm noch zu kühl, und lange Schatten schlichen über den grünen Rasen. Wahrscheinlich hätte ich das Ganze wesentlich mehr genießen können, wenn ich mich nicht in einer Art Heim für unberechenbare Dämonen aufgehalten hätte.
Wortlos gingen wir weiter. Meine Hand ruhte salopp in Dads Armbeuge, was ich gleichermaßen schön und merkwürdig fand. Während wir so dahinspazierten, konnte ich nichts anderes denken als: Das ist mein Dad. Ich häng hier tatsächlich mit meinem Dad rum, und wir tun einfach so, als sei er nicht fast siebzehn Jahre lang der Abwesendste Vater von der Welt gewesen.
Dad führte uns über die Steinbrücke und dann einen kleinen Hügel hinauf. Oben angekommen blieben wir mit Blick auf das Haus stehen und betrachteten es schweigend.
Dad hatte recht. Die Aussicht war fantastisch. Thorne Abbey schmiegte sich in das kleine Tal und war vollständig in ein sanftes, goldenes Licht getaucht. Der Wald dahinter schien sich schützend und behütend um das Gebäude herumzulegen. Ich wollte das alles ja wunderschön finden, aber während ich mir das Haus so ansah, musste ich die ganze Zeit daran denken, wie anders mein Leben hätte sein können, wenn Alice niemals hierhergekommen wäre.
»Gleich vom ersten Augenblick an habe ich mich in dieses Haus verliebt«, sagte Dad mit sanfter Stimme.
»Ich wünschte nur, es wäre ein bisschen größer«, bemerkte ich. »Weißt du, ich brauche schon mindestens fünfhundert Schlafzimmer, damit ich mich nicht so eingeengt fühle.«
Es war ja ein ziemlich lahmer Versuch, einen Scherz zu machen, aber Dad lachte trotzdem. »Ich habe immer gehofft, dass es dir gefällt. Es ist ja sozusagen dein Geburtsort. Würdest du gern die Geschichte dazu hören?«
Obwohl mein Mund trocken war und mir die Knie zitterten, zwang ich mich, ganz entspannt zu klingen. »Spricht ja nichts dagegen.«
»Die Thornes waren eine Familie von dunklen Hexen und Zauberern. Jahrhundertelang gelang es ihnen, ihre wahre Identität vor den Menschen zu verbergen, und allezeit nutzten sie ihre Kräfte, um den Wohlstand und Einfluss der Familie zu mehren. Sie waren ehrgeizig und raffiniert, aber nicht sonderlich gefährlich. Zumindest nicht bis zum Krieg.«
»Bis zu welchem Krieg?«
Dad sah mich ungläubig an. »Du hast in Hecate nichts über den Krieg gelernt?«
Ich ließ meine Kurse vom letzten Jahr noch einmal Revue passieren, aber ich musste wohl zugeben, dass ich in den Stunden größtenteils über andere Dinge nachgedacht hatte, wie zum Beispiel über Archer und Jenna und darüber, wieso Mädchen auf mysteriöse Weise angegriffen wurden. Wer konnte es mir da verübeln, wenn ich im Unterricht nicht ganz so aufmerksam war? »Könnte schon sein, dass wir das mal durchgenommen haben. Ich erinnere mich nur nicht.«
»1935 brach zwischen L’Occhio di Dio und den Prodigien ein Krieg aus. Das war eine außerordentlich finstere Episode unserer Zeitgeschichte. Tausende mussten ihr Leben lassen. Auf beiden Seiten.«
Er hielt kurz inne, um sich mit seinem Taschentuch die Brille zu putzen. »Damals waren nur noch zwei Mitglieder der Familie Thorne übrig geblieben, Virginia und ihr jüngerer Bruder Henry. Allem Anschein nach war Virginia diejenige, die auf die Idee kam, einen Dämon zu beschwören, um das Auge zu bekämpfen. In der gesamten Geschichte der Prodigien war noch niemals jemand dazu in der Lage gewesen, aber Virginia hatte beschlossen, es zu versuchen. Jahre vergingen, doch schließlich fand sie das Ritual, nach dem sie so lange gesucht hatte, in einem archaischen Grimoire.«
»Ich vermute, das ist das Zauberbuch in dem dicken Glaswürfel?«
»Genau. Den Aufzeichnungen des Rates zufolge wollte sie das Ritual an sich selbst durchführen, doch ihr Gesuch wurde von dem damaligen Ratsoberhaupt abgelehnt. Er war der Ansicht, es wäre weitaus sicherer, die Beschwörung zunächst an einem gewöhnlichen Menschen zu erproben. Zu Virginias Glück waren derweil bereits Hunderte von Mädchen in Thorne Abbey untergebracht.«
Ich erschauderte. »Und sie hat sich ausgerechnet Alice ausgesucht.«
»Ja.«
»Warum? Ich meine, du
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