Hex Hall 02 - Hawkins, R: Hex Hall 02
heraus, das genauso ein Teil von dir ist wie die Farbe deiner Augen. Du bist von Geburt an dazu bestimmt , ein Dämon zu sein, Sophie, und dein Körper und deine Seele werden darum kämpfen, dass das auch so bleibt. Unter Umständen bis zum Tod.«
Was hätte ich auf diese Ansprache noch erwidern können? Also starrte ich ihn nur an, bis er schließlich seufzte und sagte: »Du bist sicher müde, und für deinen ersten Abend war das jetzt auch wirklich ziemlich viel. Ich kann gut verstehen, dass es dich überwältigt.«
»Das ist es gar nicht«, erwiderte ich, aber er sprach einfach weiter, und so langsam wurde mir klar, dass diese Unart offenbar zu seinen nervigeren Angewohnheiten gehörte.
»Doch nach einer geruhsamen Nacht wirst du für das, was ich dir zu sagen habe, vermutlich empfänglicher sein.« Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »So, wenn du mich nun entschuldigen würdest, ich hätte mich schon vor fünfzehn Minuten mit Lara treffen sollen. Du findest allein zum Haus zurück?«
»Es steht ja direkt vor mir«, murmelte ich, doch Dad war schon halb den Hügel runter.
Ich saß noch eine Weile in der hereinbrechenden Dunkelheit, betrachtete Thorne Abbey und versuchte, alles in mir aufzunehmen, was Dad mir soeben erzählt hatte. Erst nach etwa zehn Minuten wurde mir bewusst, dass ich ihn gar nicht nach den Dämonenkids gefragt hatte. Wieso sie hier waren oder warum sie überhaupt existierten. Schließlich stand ich auf, klopfte mir die Jeans ab und machte mich auf den Rückweg.
Im Gehen dachte ich weiter über Dads Worte nach. Zwar verfügte ich erst seit ein paar Jahren über meine Kräfte, aber sie waren definitiv ein Teil von mir. Und zum ersten Mal gestand ich mir ein, wie sehr mich schon allein der Gedanke daran in Panik versetzte – mir meine Magie aus dem Körper förmlich heraussaugen zu lassen und dabei vielleicht sogar zu sterben.
Allerdings konnte ich auch nicht als tickende Zeitbombe durchs Leben gehen. Und ganz gleich, was Dad über die Sensibilisierung meiner Magie gesagt hatte, solange ich diese Kräfte besaß, bestand auch immer die sehr reale Möglicheit, dass sie explosionsartig aus mir herausbrechen könnten. Irgendwie war meine ganze Existenz zu einer ausgesprochen komplizierten Textaufgabe geworden.
Und bei so was war ich wirklich schon immer eine Niete gewesen.
Keine Spur von Dad, als ich wieder auf Thorne Abbey ankam. Also trottete ich nach oben in mein Zimmer. Vorhin wäre ich vor Hunger fast gestorben, doch das Gespräch mit Dad hatte mir den Appetit verdorben. Trotz meines langen Nickerchens wollte ich jetzt nur noch ein heißes Bad nehmen und mich ins Bett verkriechen.
Endlich wieder in meinem Zimmer, stellte ich erstaunt fest, dass mein Bett bereits zurechtgemacht war. Ob die Dienstboten wohl dafür verantwortlich waren, oder hatte hier so eine Art Ordnungszauber gewirkt?
Dann entdeckte ich das Foto auf meinem Kissen.
Als ich mich vorbeugte und das Bild in die Hand nahm, fragte ich mich, ob Dad es wohl selbst dort hingelegt hatte. Meine Hände zitterten ein wenig. Es war eine Schwarzweißaufnahme von ungefähr fünfzig Mädchen in einem der Gärten von Thorne. Die Hälfte von ihnen stand, während die andere Hälfte auf dem Boden saß, die Röcke schicklich über die Beine gelegt. Alice war eins von den sitzenden Mädchen.
Nachdenklich betrachtete ich ihr Gesicht. Irgendwie war es einfacher gewesen, mir Alice als eine wirklich besessene, seelenlose Kreatur vorzustellen, die den Körper meiner Urgroßmutter nur als Werkzeug benutzt hatte. Jetzt war es wesentlich schwerer zu ertragen, dass Alice’ Seele noch in ihrem Körper gewesen war, als ich ihr mit diesem Splitter Dämonenglas den Hals aufgeschlitzt hatte.
Ich zeichnete ihre Umrisse auf dem Foto nach. Was war ihr an jenem Tag wohl durch den Kopf gegangen? Hatte auch sie Thorne Abbey als so überwältigend empfunden?
Soweit ich wusste, war sie vor über sechzig Jahren ebenfalls in eben diesem Zimmer gewesen. Bei dem Gedanken lief mir ein kalter Schauer über den Rücken. Ich hätte sie gern gefragt, ob sie vielleicht eine Vorahnung von dieser schrecklichen Sache gehabt hatte, die ihr damals noch bevorstand. Ob sie auch mit diesem widerlichen Gefühl von Furcht – das immer noch tief in mir brodelte – durch die Flure von Thorne gelaufen war.
Doch Alice, eingefroren im Jahr 1939, lächelnd und menschlich, hatte keine Antworten für mich. Und auch ihr Gesichtsausdruck ließ nicht darauf schließen, dass sie
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