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Hex

Titel: Hex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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erkennen.
    Schließlich wandte sie sich wieder an Zacharias, der neben ihr an der Brüstung lehnte. Sie betrachtete eingehend sein kantiges Profil, seine glasigen, sorgenvollen Augen.
    Sinas Zunge war trocken und schwer, ihre Stimme klang krächzend. »Haben Sie ihn gesehen? Den Fremden in Kaysslers Labor, meine ich...«
    »Nein«, erwiderte er schnell. Zu schnell. Sie begriff, daß er log, sich aber wünschte, es wäre die Wahrheit.
    »Nein«, sagte er noch einmal, und es klang wie eine Beschwörungsformel. Sein Blick wurde glasig. »Ich habe ihn nicht gesehen.«
    »Sie haben das Hex nur gegründet, um das alles hier geheimzuhalten.« Sie wollte vorwurfsvoll, ja haßerfüllt klingen, aber nicht einmal das gelang ihr. »Durch uns erfuhren Sie sofort von jedem Hinweis auf die Existenz dieser Wesen.«
    »Nur so konnten wir sichergehen, daß alle Gerüchte im Keim erstickt werden konnten.«
    Sina wollte wütend nachhaken, als hinter ihnen Schreie ertönten. Als sie herumfuhr, sah sie eine Gestalt mit Armen bis zum Boden, die blitzschnell auf sie zuraste.
    Erst als der Mann fast heran war, erkannte sie, daß die langen Arme die aufgerissenen Ärmel einer Zwangsjacke waren. Er wirbelte sie wild umher, brüllte dabei und war jetzt nur noch wenige Schritte von Sina, Zacharias und dem Wächter entfernt.
    Noch ehe der Soldat seine Waffe herumreißen konnten, krachten bereits Schüsse. Sina sah, wie ein Querschläger funkenschlagend an Zacharias’ Gesicht vorbeipeitschte. Eine Gruppe Uniformierter verfolgte den Wahnsinnigen und hatte das Feuer eröffnet.
    Der Mann in der Zwangsjacke stieß Sina und Zacharias zur Seite, schwang sich über die Balustrade und verschwand schreiend in der Tiefe der Halle.
    »Hört auf zu schießen!« brüllte Zacharias die Verfolger an. »Wollt ihr uns alle umbringen, ihr Idioten?«
    Sina verstand nicht recht, was er damit meinte, aber die Soldaten blieben unschlüssig stehen.
    Der Wahnsinnige hatte den Sprung heil überstanden und stemmte sich auf die Beine. Mehrere Arbeiter waren stehengeblieben und starrten ihn verwundert an, andere wichen zurück – und gaben damit den Blick auf einen der Männer in Schwarz frei. Ganz deutlich war auf dem Gesicht des Wahnsinnigen ein abgrundtiefes Entsetzen zu lesen, als er sich selbst erkannte. Er verharrte abrupt.
    »Er ist es, nicht wahr?« flüsterte Sina. »Das ist der echte Eisenstein.«
    »Ja«, erwiderte Zacharias. Er fuhr herum und brüllte seine Männer an. »Holt ihn da raus! Ich will, daß er sofort dort unten verschwindet!«
    Eisenstein torkelte jetzt am Boden der Halle umher und rieb sich mit den Ärmeln der Zwangsjacke durchs Gesicht, als wolle er sich die Augen auskratzen. Immer wieder starrte er panisch auf sein Ebenbild, wankte von Grauen gepackt darauf zu und schlug in einem blindwütigen Taumel danach. Der Mann in Schwarz wehrte sich nicht.
    Zacharias brüllte immer noch aufgebracht auf seine Soldaten ein, von denen die ersten soeben den Grund der Halle erreichten. Sie rannten auf den wahnsinnigen Eisenstein zu; er stieß jetzt hohe, spitze Schreie aus. Die Arbeiter, die sich in seiner Nähe aufhielten, brachten sich panisch vor ihm in Sicherheit, bildeten einen weiten Kreis. In seiner Mitte tänzelte Eisenstein um sein regloses Ebenbild.
    Die Soldaten drängten brüllend durch die Menge. Einer versuchte, Eisenstein zu packen, doch der Wahnsinnige riß einen losen Steinbrocken vom Boden und rammte ihn dem überraschten Soldaten ins Gesicht. Blutend und schreiend ging der Mann zu Boden. Zwei weitere Soldaten griffen nach Eisensteins Armen, hatten aber den Kräften, die der Irrsinn ihm verlieh, nichts entgegenzusetzen.
    »Erschießt ihn!« brüllte Zacharias von der Balustrade.
    Die Soldaten sprangen zurück. Augenblicke später peitschten mehrere Schüsse. Mündungsblitze flimmerten über den Fels. Dann herrschte Stille. Eisenstein lag mit verdrehten Gliedern am Boden, zuckte ein-, zweimal, dann erstarrte er. Ein halbes Dutzend roter Flecken erblühte im Grau der Zwangsjacke.
    Als die Soldaten Eisensteins Leiche davonschleiften und die Männer ihre Arbeit wieder aufnahmen, wandte Sina sich an Zacharias. Er hatte den Kopf in den Nacken gelegt und starrte stumm zur Decke hinauf. Beunruhigt folgte sie seinem Blick, doch in der Kuppel des Höhlendoms gab es nichts Außergewöhnliches zu sehen, nur ein gleißendes Licht, das von einem besonders starken Scheinwerfer stammen mußte. Ihm war die Helligkeit in der gesamten Halle zu verdanken; die

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