Hex
nicht einmal daran gedacht, daß draußen die Sonne unter- und wieder aufgehen könnte.
»Langweile ich Sie?« fragte der Magier ruhig.
»So was sollten Sie nicht einmal denken«, gab sie giftig zurück.
Er trat ans Fenster und blickte einen Moment lang hinaus. Dann sah er sie wieder an. »Ich habe mich immer gefragt, warum Sie damals so gehandelt haben. Warum Sie unbedingt die Heldin spielen mußten.«
»Ich habe dafür bezahlt«, erwiderte sie kalt.
»Ja, sicher. Aber« – er schüttelte verständnislos den Kopf – »es hätte nicht sein müssen. Wir beide hätten in vielen Nächten sehr viel besser schlafen können, wenn Sie damals anders gehandelt hätten.«
»Diese Kinder könnten noch leben, wenn ich damals anders gehandelt hätte.« Sie spürte, daß sie ihren Zorn nicht länger unter Kontrolle hatte. Wenn es wirklich das war, was er wollte, dann hatte der Magier gewonnen. Sie war bereit, es einzugestehen, heute, nach all den Jahren war sie endlich bereit.
»Verzeihen Sie«, bat er sanft, »natürlich haben Sie recht. Die Kinder würden noch leben – und uns beiden ginge es besser.«
»Ich kann nicht glauben, daß ein Mann wie Sie Gewissensbisse wegen einiger Kinder hat.«
Er starrte sie an, schüttelte den Kopf und sagte bitter: »Nein? Vielleicht schätzen Sie mich falsch ein. Aber was ist mit Ihnen? Die ganze Sache war Ihre Schuld. Sie bestanden darauf, meine Bühne zu untersuchen, damals in diesem Park. Ich bat Sie, die Kinder fortzuschicken, aber Sie hörten nicht auf mich. Sie haben den Mechanismus in Gang gesetzt...«
»Ohne es zu wollen«, sagte sie leise.
»Als ob das einen Unterschied macht.« Er redete sich in Rage, die Worte sprudelten nur so über seine Lippen. »Sie haben die Bombe zu früh hochgehen lassen, noch während die Kinder vor der Bühne saßen. Ich war es, der Sie aus der Gefahrenzone gerissen hat. Ich hatte den Ruf, meine Aufträge präzise zu erfüllen, und ich habe immer nur die getötet, auf die es ankam. Weder Sie noch die Kinder gehörten dazu. Sie konnte ich retten, Fräulein Zweisam, aber die Kinder...«
»Sie hätten mich mit ihnen sterben lassen sollen.«
Er wischte ihren Einwurf mit einer verächtlichen Handbewegung beiseite. »Seien Sie doch nicht albern. Natürlich sind Sie mir dankbar, daß Sie leben. Und was die Gewissensbisse angeht: Ich habe mich aus meinem Geschäft zurückgezogen. Aber Sie?« Er schnaubte verächtlich. »Sie sind dabei geblieben, erst bei der Polizei, dann bei dieser lächerlichen Truppe um Zacharias. Wer von uns beiden hatte also das schlechte Gewissen?«
Es hätte nicht viel gefehlt, und sie wäre ihm an die Kehle gesprungen, trotz ihrer Handschellen. »Ich habe weitergemacht, um Sie zu fassen!« schrie sie ihn an. »Ihre Unterstellung ist...«
»Was?« unterbrach er sie ruhig. »Absurd? Infam? Oder einfach nur die Wahrheit, die Sie nicht hören wollen?«
Sie spürte, wie ihre Wut ihr die Tränen in die Augen trieb. »Was wissen denn Sie über Schuld? Ich habe vielleicht die Bombe gezündet, ohne es zu wollen, aber wer hat sie dorthin gebracht? Ihre Argumente sind verlogen! Geben Sie mir nur die Schuld, aber die Wahrheit kennen Sie genausogut wie ich.«
»Sie hätten warten können, bis jemand kommt, um die Bombe zu entschärfen«, erinnerte er sie. »Aber Sie mußten ja selbst daran herumspielen. Sie selbst wollten den Anschlag verhindern, die große Heldin von Kopenhagen! Sie haben die Kinder getötet, nicht ich.«
Sie starrte ihn schweigend an, eine kleine Ewigkeit lang, dann fragte sie leise: »Warum tun Sie das?«
»Ich kämpfe mit meinem Gewissen, genauso wie Sie.«
»Indem Sie die Schuld einfach von sich weisen?«
Er zögerte. »Vielleicht.«
»Das ist der einfachste Weg, genau wie die Bombe. Der einfachste und schnellste Weg.«
»Und wenn Sie mir nicht wieder dazwischenfunken, gehe ich ihn diesmal bis zum Ende.«
»Hat Zacharias Ihnen das eingeredet?«
Irritiert sah er sie an. »Zacharias? Der hat nicht das geringste damit zu tun. Nichts von dem, was in dieser Burg geschieht, hat damit zu tun. Es geht nur um Sie und mich und um die Kinder.«
»Als man Ihnen den Auftrag gab, Max zu töten, da wußte man, weshalb man sich an Sie wandte.«
»Weil ich der Beste bin«, behauptete er fest.
Sie lachte auf. »O ja, der Beste. Früher einmal, vielleicht. Bis Sie sich von einem Mädchen, ausgerechnet einer Polizeischülerin, alles kaputtmachen ließen. Wenn Sie je der Beste waren, dann liegt das viele Jahre
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