Hex
mit Spitzhacken eine Mauer an der gegenüberliegenden Seite des Felssaales ab, zehn, zwölf Meter hoch. Durch einen breiten Tunnel in der Seitenwand brachten Lastwagen und Schienenloren das geborstene Gestein nach oben.
»Den Tunnel mußten wir wohl oder übel selbst anlegen«, erklärte Zacharias gelassen und hatte Mühe, den Lärm zu übertönen. »Er endet in einer Lagerhalle in der Stadt. Von dort aus werden die Steine auf getarnten Lastwagen abtransportiert. Niemand ahnt, was sich wirklich unter den Planen befindet.«
Sina entdeckte zwischen den Arbeitern und Soldaten mehrere Männer in schwarzen Anzügen, mit dunklen Brillen und Hüten. Es waren die gleichen, denen sie am Kraterrand begegnet war. Sie mußte sie nicht aus der Nähe sehen, um zu erkennen, daß auch sie getreue Abbilder Jakob Eisensteins waren.
Schwerfällig rang sie nach Worten. »Was sind das für Männer? Ich meine, wie...«
»Ich weiß es nicht«, gestand Zacharias. »Sie wurden uns gesandt als eine Art... nun, Botschafter wäre wohl das angemessene Wort.«
»Gesandt?« Die Erkenntnis traf Sina wie ein kalter Schlag. »Das ist kein Trick, oder?«
Zacharias wandte den Blick nicht von den Männern in Schwarz. »Es sind keine Menschen. Insofern könnte man es wohl als Trick bezeichnen. Aber wenn es einer ist, dann sind wir alle gleichermaßen darauf hereingefallen.«
»Was sind sie dann? Maschinen?«
»Nein, nichts dergleichen. Sie sind aus Fleisch und Blut. Wenigstens könnte man es so nennen. Es ist kein menschliches Fleisch. Und ihr Blut ist durchsichtig wie Wasser.«
»Sie haben sie untersucht?«
»Einen. Er wurde von Gesteinstrümmern erschlagen. Wir haben ihn nicht sezieren dürfen, aber die Steine hatten ihn zerquetscht, und wir konnten einen Blick auf das werfen, was übrig war.«
Sinas Augen starrten gebannt an Zacharias vorbei auf das Arbeiterheer. »Was hat das alles zu bedeuten?«
Zacharias stützte sich mit beiden Händen auf das steinerne Geländer. »Die ganze Geschichte reicht bis weit in die Vergangenheit.«
»Bis 1561?«
»Sie haben den Holzschnitt gesehen?« Er wirkte müde, als zehre jedes Wort an seinen Kräften. »Das Jahr 1561 war ein Wendepunkt, gewiß, aber die Anfänge liegen sehr viel weiter zurück. Wahrscheinlich war nicht einmal Ezechiels Vision der Beginn.« Plötzlich lächelte er wieder, aber es wirkte freudlos. »Haben Sie sich je gefragt, warum wir Menschen träumen?«
Sie blickte ihn verwundert an. »Was hat das...«
»Es ist eine Krankheit, Sina. Wenigstens läßt es sich am ehesten damit vergleichen, auch wenn es keine zerstörerische Kraft in sich trägt. Diese Wesen haben uns angesteckt.«
»Mit Träumen?« Sie verzog das Gesicht. »Sie gehen ein wenig weit, meinen Sie nicht?«
»Wir haben Beweise. Wenngleich ich wünschte, wir hätten sie nicht, denn das hier« – er deutete in die Halle – »ist der Preis, den wir dafür zahlen. Und, glauben Sie mir, er ist gering im Vergleich zu dem, was noch kommen mag.«
»Ich verstehe nicht, was...«
»Nein, natürlich nicht.« Er hielt einen Augenblick inne, dann fuhr er fort: »Sehen Sie, vor sieben Jahren entdeckte eine deutsche Polar-Expedition etwas im ewigen Eis, oben in Peary-Land, im Norden Grönlands. Es war etwas, das Ähnlichkeit mit einer riesigen Scheibe besaß, und es war offenbar beschädigt. Ein Wrack.«
Sina wollte Fragen stellen, doch sie bremste sich und hörte schweigend zu.
»Die Forscher fanden einen Weg ins Innere der Scheibe, und dort entdeckten sie... etwas. Sie glaubten, es sei tot. Es war steifgefroren. Sie nahmen es mit zu ihrem Schiff und brachten es in einem der Kühlräume unter. Dann kehrten sie zurück nach Deutschland und meldeten dort den Fund der Scheibe. Das Wesen aber, das sie entdeckt hatten, verschwiegen sie den Behörden; sie wollten auf eigene Faust sein Geheimnis erforschen. Schon nach wenigen Tagen flog der ganze Schwindel auf, der Fund wurde konfisziert und einem geheimen Kreis von Wissenschaftlern zur Verfügung gestellt. Ihr Leiter war ein Mann namens Kayssler. Haben Sie je von ihm gehört?«
Sina schüttelte den Kopf.
»Er war ein Genie, wenn auch in der Fachwelt aufgrund einiger Experimente in Ungnade gefallen. Er und seine Leute wurden in einem abgelegenen Anwesen nördlich von Berlin einquartiert. Zuerst hatte man erwogen, das Wesen zurück nach Grönland zu bringen. Dort war zwischenzeitlich eine Station eingerichtet worden, in Qaanaaq...«
»Dem alten Thule«, ergänzte Sina und spürte,
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