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Hex

Titel: Hex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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freigelassen, vielleicht als Zeichen ihres Wohlwollens.« Er lächelte grimmig. »Ich habe es schon lange aufgegeben, all ihre Handlungen verstehen zu wollen. Sie verhalten sich so gänzlich anders als wir, ihre Entscheidungen sind... nun, aus unserer Sicht scheinen sie regelrecht falsch zu sein.« Er hielt inne, um zu überlegen, ob er diesen Gedanken weiter vertiefen sollte. Dann aber sagte er: »Eisenstein jedenfalls hatte bei seinem Auftauchen längst den Verstand verloren. Um mit uns in Verbindung zu treten, hatten die Fremden seine Ebenbilder geschaffen – Botschafter, die uns ihre Nachrichten überbrachten und unsere Antworten weitergaben. Sie verlangen Wiedergutmachung.«
    Sie blickte ihn eindringlich an, versuchte seinen Blick zu kreuzen, doch den Gefallen tat er ihr nicht. »Wiedergutmachung für was? Für Kaysslers Experimente mit einem von ihnen?« Sie spürte, wie ihr kalt wurde, eine bittere, innere Kälte. »Und was für eine Art von Wiedergutmachung soll das sein?«
    »Sie kennen den Holzschnitt«, erwiderte Zacharias scheinbar zusammenhanglos. »Haben sie auch die kleinen Rauchfahnen am rechten unteren Bildrand gesehen? Das sind Absturzstellen. Damals brachte man die Trümmer hierher, in dieses Kerkerlabyrinth. Sie wurden tief im Fels eingemauert, hinter sechshundertsechsundsechzig Mauern, die den Satan in den Trümmern bannen sollten. Diese ganze Halle« – er wies durch den Saal – »war angefüllt mit Ziegelsteinen. Was Sie dort vorne sehen, ist die letzte Mauerschicht. Seit Monaten sind wir dabei, eine nach der anderen abzutragen. Der Durchbruch steht kurz bevor.«
    »Ein Zufall?«
    »Daß gerade jetzt alle Fäden zusammenlaufen? O nein, natürlich nicht. Sie, Sina, waren immer die einzige wirklich fähige Agentin des Hex, und es gab Befürchtungen, daß Sie auf die ganze Sache stoßen könnten. Die meisten, die davon wußten, waren der Meinung, Sie sollten beseitigt werden, aber es gab jemanden, der sich für Sie einsetzte. Er schlug vor, Sie ins Ausland zu schicken, möglichst weit fort von hier.«
    »Und Max?«
    »Sollte sterben, ohne daß sein Vater sofort davon erfuhr und alle Pferde scheu machte. Deshalb wurde er Ihnen zur Seite gestellt. Der Magier hätte ihn gleich beseitigen sollen, als Sie das erstemal aufeinandertrafen. Leider war er zu neugierig. Er war nicht in alles eingeweiht, und so zeigte er ein allzu großes Interesse an dem Krater und Ihrer Arbeit, Sina. Vielleicht auch an Ihnen selbst, wer weiß... Er wartete zu lange, und der Anschlag schlug fehl. Sie kehrten vorzeitig nach Berlin zurück, erfuhren von der Entführung dieses Filmsternchens und kamen hierher. Rechtzeitig zum Höhepunkt der Operation.« Er zuckte mit den Achseln, als habe all das kaum noch Bedeutung. »Schicksal.«
    »Aber wenn Sie mich loswerden wollten, warum haben Sie mich von allen Orten ausgerechnet nach Grönland geschickt?« fragte sie ungläubig. »Dort mußte ich doch auf alles aufmerksam werden.«
    Zacharias schien unwohl bei dieser Frage zu sein, vielleicht, weil sie erneut einen seiner Fehler offenbarte. »Das geschah nicht auf meinen Wunsch. Aber dieselbe Person, die Ihr Leben rettete, war der Ansicht, man könne Sie vielleicht auf unsere Seite ziehen. Sie haben nie an der Existenz dieser Dinge gezweifelt, Sina, vorausgesetzt, Sie selbst kamen ihnen auf die Spur – so ist es doch, nicht wahr? Also wurden Sie – und ich betone es noch einmal: gegen meinen Willen! – nach Grönland geschickt. Wäre alles glatt gelaufen, hätten der Krater oder der Magier Sie lange genug aufgehalten, um den großen Augenblick hier im Berg zu verpassen. Anschließend wollte man Ihnen alles offenbaren und abwarten, ob Sie sich als kooperativ erweisen.«
    »Wenn nicht, sollte ich sterben.«
    »Sterben, ja«, bestätigte er leise und fügte wie beiläufig hinzu: »Das gilt noch immer.«
    Sie blickte wieder über das Geländer hinweg in die Halle. Die letzte der sechshundertsechsundsechzig Mauern war zu drei Vierteln abgetragen. Hinter ihrem oberen Rand kam ein schmaler Streifen Finsternis zum Vorschein – eine Höhle oder ein Loch im Fels befand sich dahinter.
    In vorderster Reihe der Arbeiter bewegte sich eine Gruppe von drei Männern, die anders gekleidet waren als alle übrigen. Einer schien Vermessungen anzustellen, der zweite starrte auf einen Papierblock in seinen Händen, und der dritte stand wie unbeteiligt daneben. Sina strengte ihre Augen an, konnte aber die Gesichter der drei nicht

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