Hex
»Ich habe dein Leben gerettet.«
Statt einer Antwort fragte sie: »Weshalb hast du es getan?«
»Wir sind Freunde.«
»Liebe Güte!« Sie lachte auf, viel zu laut und zu schrill. »Freunde, Dominik? Man legt Freunden keine Handschellen an. Man sperrt sie nicht in Turmzimmer und setzt keine bezahlten Mörder auf sie an. Du und Max, ihr wart Freunde... Ist es diese Art von Freundschaft, die du meinst? Darauf verzichte ich gern.«
»Max ist ein Dummkopf«, entgegnete er. Aus seinen Augen sprach Bedauern. »Er besitzt keinen Ehrgeiz. Du bist fast eine von uns, Sina. Aber er? Max ist ein Versager.«
Sie sprang auf und schlug ihm mit beiden Händen ins Gesicht, ehe er auch nur reagieren konnte. Überrumpelt zuckte er zurück. Als er sich mit dem Handrücken über die Nase wischte, klebte Blut daran.
Und noch immer wurde er nicht zornig. »Was soll das, Sina? Damit löst du überhaupt nichts.«
Sie stand da, die Hände zu Fäusten geballt, und fühlte sich unendlich hilflos.
»Wer von uns ist nun das Kind, Sina?« fragte er sanft. »Wer schließt die Augen vor den Ereignissen und hofft, man würde ihn übersehen?«
»Du hast dich hervorragend arrangiert«, spie sie ihm entgegen.
»Kinder schlagen um sich, wenn ihnen etwas mißfällt. Wir aber suchen Lösungen, wir gehen Konflikten aus dem Weg.«
»Du bist ein schlechter Prediger, Dominik.«
Er schüttelte enttäuscht den Kopf. »Du begreifst es nicht.«
»Was begreife ich nicht?«
Sehr leise, sehr sanft sagte er: »Ich liebe dich, Sina.«
Er blickte sie einen Augenblick lang stumm an, dann fügte er hinzu: »Aber wenn du willst, dann vergiß, daß ich das je gesagt habe. Ich erwarte keine Wunder. Ich weiß, daß wir im Augenblick auf verschiedenen Seiten stehen. Aber wenn ich dich nicht überzeugen kann, dann laß dich von der Sache überzeugen. Du hast gesehen, was in diesem Berg geschieht. Wir haben keine Wahl, Sina. Wir müssen tun, was sie von uns verlangen, sonst werden sie uns und alles, was wir kennen, vernichten.« Er deutete zum Fenster und auf den strahlend blauen Himmel über den Giebeln. »Sie stehen irgendwo dort oben bereit, in ihren Festungen auf dem Mond oder jenseits davon. Sie warten, auf unsere Entscheidungen und auf Resultate. Und sie werden uns einfach auslöschen, wenn wir nicht tun, was sie wollen.«
»Ihr habt sie herausgefordert«, widersprach sie unsicher. Auf dem Mond oder jenseits davon, hatte er gesagt. Ihre Gedanken schwirrten im Kreis wie ein Hornissenschwarm; unmöglich, einen zu fangen und festzuhalten. Ihre Verwirrung fesselte sie in ein Netz aus Gemeinplätzen. »Es ist... falsch.«
»Es war falsch«, bestätigte er. »Aber jetzt müssen wir mit unseren Fehlern leben. Es war auch falsch, irgendeinen armen Teufel an meiner Stelle in die Luft zu sprengen. Falsch für Anstand und Moral, aber richtig für unsere Zukunft. Ohne die Gesellschaft, ohne das alles hier, wird es keine Zukunft mehr geben.«
»Was genau verlangen sie?«
»Sie wollen das, was 1561 in diesem Berg versteckt wurde. Die Trümmer ihrer Scheiben oder Kugeln, oder was auch immer damals vom Himmel fiel. Kirche und Kaiser ließen es verschwinden, einmauern, damit es niemals gefunden würde. Man glaubte, der Teufel sei stinkend und qualmend zur Erde gefahren, und man beseitigte so viele Mitwisser wie nur möglich.«
»Aber warum holen sie sich ihre Trümmer nicht einfach selbst aus dem Berg? Sie hätten die Macht dazu.«
Etwas wie ein Schatten – ein vages Lächeln? – zuckte über sein Gesicht. »Sie haben genug Macht, um diesen Berg und diese Stadt und vielleicht gar die ganze Welt einfach fortzuwischen, wie Kreidestriche auf einer Tafel. Sie könnten es tun – aber ich glaube, sie wollen es nicht. Sie sind Beobachter. Sie haben gehofft, mit uns in einen friedlichen Kontakt zu treten.«
»Statt dessen stahl man die Überreste ihrer Schiffe und ließ einen von ihnen von einem verrückten Wissenschaftler durch den Reißwolf drehen.«
Ein Hauch von Empörung klang aus seiner Stimme. »Kayssler war genial, nicht verrückt. Und durch den Reißwolf, das kannst du mir glauben, wurden am Ende nur er selbst und seine Leute gedreht. Kayssler hat den Preis gezahlt für das, was er getan hat.«
»Und jetzt ist dein Vater an der Reihe«, fügte Sina voller Genugtuung hinzu. »Und mit ihm euer ganzer schäbiger Verein von größenwahnsinnigen Möchtegern-Germanen. Trotzdem habt ihr es noch immer nicht begriffen. Noch immer versucht dein Vater, seine Vorteile
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