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Hex

Titel: Hex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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daraus zu ziehen, ganz gleich, was dabei auf dem Spiel steht.« Sie hörte sich ohne eigenes Zutun reden. War es wirklich das, was sie glaubte? Hatte sie nicht kürzlich erst erkannt, daß es Zacharias nicht um Vorteile ging? Wieso brachte ihr Zorn sie dazu, Argumente auszusprechen, an die sie selbst nicht glaubte?
    Ihre Blicke kreuzten sich erneut. »Er ist mein Vater, Sina. Du verlangst doch nicht, daß ich dir recht gebe?«
    »Du bist nicht besser als er.«
    »Das Ringen um die Herrschaft ist nichts Verwerfliches, das war es nie. Selbst Wesen von solcher Macht wie die Fremden sind davor nicht gefeit. Was glaubst du, weshalb einige ihrer Schiffe über Nürnberg abstürzten? Sie kämpften, Sina, ganz gleichgültig um was. Aber sie müssen einen sehr guten Grund gehabt haben, daß sie dies vor den Augen einer ganzen Welt taten.«
    »Du legst sie allen Ernstes als Maßstab an? Das ist töricht, und das weißt du. Was wißt ihr schon über sie?«
    »Nichts, was sie uns nicht wissen lassen«, gab er zu. »Aber welchem Maßstab folgst denn du? Dem der Moral? Der Bibel? Dem Maßstab irgendeines Gottes?«
    »Gesundem Menschenverstand.«
    »Platitüden werden nicht dadurch besser, daß man sie ehrlich meint.«
    »Und Wahnsinn läßt sich nicht rechtfertigen, indem man den Irrsinn anderer als Maß heranzieht. Verstehst du es denn nicht, Dominik? Ihr macht wieder und wieder die gleichen Fehler.«
    Er schwieg eine Weile, dann zuckte er schließlich mit den Achseln. »Alles andere würden sie nicht zulassen. Mein Vater versucht nur, das Beste daraus zu machen.«
    Ein Gedanke schoß ihr unvermittelt durch den Kopf: Wußte Dominik denn, was sein Vater wirklich vorhatte? War er überhaupt eingeweiht in die ganze schreckliche Wahrheit?
    Sie sah ihn noch einen Augenblick länger an, dann wandte sie sich mit einem traurigen Kopfschütteln zur Tür. »Es hat keinen Zweck, Dominik. Bring mich zurück zu den anderen.«
    »Du wirst deine Meinung noch ändern.«
    »Was willst du tun? Mich foltern?«
    »Unsinn.«
    »Was sollte mich dann umstimmen?«
    Er lächelte wieder. »Dein eigenes Argument, Sina. Gesunder Menschenverstand.«
     
    Der Tag endete, wie er begonnen hatte – in der undurchdringlichen Schwärze der Turmkammer. Sie hockten am Boden, grübelnd, verzweifelt, und Evelina begann zu niesen, denn sie saß am längsten von allen auf dem eiskalten Fels. Sie hatte versucht, die Bretter vor den Fenstern mit bloßen Händen herunterzureißen, aber alles, was sie bewirkt hatte, war, daß ihre Fingernägel abgebrochen waren.
    Sina und Max flüsterten leise, schmiedeten Pläne, verwarfen sie wieder. Irgendwann, draußen mochte es Nacht sein, beschlossen sie zu schlafen, auch weil es nahezu das einzige war, das sie noch nicht versucht hatten, um sich die Zeit zu vertreiben.
    Sina hatte den anderen von Dominik und dem Magier berichtet. Max hatte sehr gefaßt und ruhig reagiert, wenngleich seiner Stimme anzumerken war, wie sehr ihn der Verrat des Freundes schmerzte. Seine Schwester dagegen fluchte und schrie, und als all das nichts nutzte, zog sie sich wieder zurück in die Geborgenheit ihrer Trauer und schluchzte leise. Sina konnte es ihr nicht verübeln, obgleich es an ihren Nerven zerrte; Evelina war ein reiches, verzogenes Kind, das viel zu selten aus seinen bequemen Salons und Ballsälen herausgekommen war. Sie war die einzige von ihnen, die die Mitschuld ihres Vaters an ihrem Dilemma nicht wahrhaben wollte. Wenn ihr Gespräch auf von Posers Mitgliedschaft in der Gesellschaft kam, dann schwieg sie einfach und tat, als gehe sie das alles nichts an.
    Nach Stunden – unmöglich zu sagen, wie vielen – wurde die Falltür im Boden abermals geöffnet, und diesmal forderten die Soldaten sie alle auf, ihnen zu folgen. Wilhelm von Poser stöhnte leise, als Max und Sina ihm aufhalfen und beim Gehen stützten. Er sprach nicht, konnte auch kaum einen Fuß vor den anderen setzen, aber wenigstens war er aus seiner Bewußtlosigkeit erwacht.
    Die Soldaten trieben sie über die Treppe in der Kapelle nach unten und durch das Korridorlabyrinth zur großen Halle. Die beiden Flügel des Tores standen weit offen und gestatteten schon von weitem eine gute Aussicht auf das Geschehen im Saal.
    Zacharias und Dominik erwarteten sie.
    »Die letzte Mauer ist gefallen«, sagte der Alte und wies auf die andere Seite der Kuppelhalle. Die Arbeiter hatten sich in einigem Abstand rechts und links einer hausgroßen Öffnung aufgereiht, traten nervös von einem Fuß auf

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