Hex
den anderen und murmelten leise. Einige wurden von bewaffneten Soldaten zur Ruhe gerufen, doch nicht einmal die Präsenz der Schwarzen Reichswehr konnte das Murmeln und Flüstern restlos unterdrücken. Ein unverständliches Wispern lag über der Menge, ohne daß seine Herkunft genau zu bestimmen war.
Jenseits des Durchbruchs herrschte Finsternis. Sogar das strahlende Licht in der Kuppel vermochte die Schatten hinter den Felsrändern nicht zu durchdringen, ein schwarzer Schlund, weit aufgerissen, als wolle er in der nächsten Sekunde gellend aufschreien.
Max starrte Dominik ausdruckslos an, bis der sein Grinsen ablegte und irritiert in eine andere Richtung schaute. Kein einziges Wort fiel zwischen ihnen; Blicke sagten alles, was zu sagen war.
Sina sah gebannt auf die riesige Öffnung in der Höhlenwand. Fast vierhundert Jahre lang war keine Helligkeit an diesen Ort gefallen, und es sah aus, als wehre sich die Schwärze auch jetzt noch erbittert gegen jeden Lichtstrahl. Die Dunkelheit in dem Loch besaß keine sichtbare Tiefe, sie war absolut.
Am Ende der beiden Reihen aus Arbeitern bezogen mehrere Dutzend Soldaten Stellung. Sie standen im Spalier, als erwarteten sie, daß der Reichspräsident persönlich aus dem Loch treten würde. Aber Sina entging nicht, daß sie alle ihre Waffen umklammerten. Zwischen den Uniformierten hielten sich auch einige Wissenschaftler in weißen Kitteln auf. Eisensteins Ebenbilder waren verschwunden, die Fremden hatten ihre Botschafter abgezogen.
»Ich möchte, daß du mit dort hinunterkommst«, sagte Dominik und schenkte Sina ein aufmunterndes Lächeln. »Du willst es doch sehen, oder?«
Zu ihrem Erstaunen sagte Max: »Ich komme auch mit.«
Sein Vater stöhnte leise und versuchte, den Kopf zu schütteln, aber Max zwang sich, ihn nicht zu beachten.
»Was ist?« fragte er Dominik. »Hat jemand etwas dagegen?«
Dominik sah Zacharias an. Der Alte knurrte gleichgültig. »Deine Entscheidung, Max.«
Sina war nicht sicher, ob sie wirklich dort hinunter wollte, aber sie begriff auch, daß ihr keine andere Wahl blieb. Zudem hatte Dominik recht: Sie wollte es sehen – was immer es sein mochte. Ein Haufen Metalltrümmer? Die Überreste fremdartiger Maschinen und Geräte? Die Wahnvorstellungen von ein paar fanatischen Priestern des Spätmittelalters?
»Ich möchte mit Vater hierbleiben«, sagte Evelina stockend. Niemand hatte etwas anderes erwartet. Sina bemerkte, daß das Mädchen Dominik haßerfüllt beobachtete. Er aber schenkte ihr kaum Beachtung.
Der Wachtrupp stieg mit ihnen über eine Seitentreppe in die Halle hinunter. Max’ Vater streckte kraftlos den Arm aus, um seinen Sohn zurückzuhalten, aber Max tat, als bemerke er es nicht.
Sie erreichten den Grund der Halle im selben Augenblick, da das Licht an der Decke an Intensität gewann und den Saal auf einen Schlag in gleißendes Weiß tauchte. Sie alle kniffen die Augen zusammen, so sehr blendete sie die plötzliche Helligkeit.
Sie wollen die Öffnung auszuleuchten, dachte Sina ohne aufzuschauen. Ihr Blick war beharrlich auf den Durchbruch gerichtet. Ihr war plötzlich kalt.
»Was erwarten Sie dort drinnen zu finden?« fragte sie, ohne Zacharias anzusehen.
»Seien Sie still!« Seine Augen waren weit aufgerissen, fast andächtig.
Wir anderen suchen noch, durchfuhr es Sina zynisch, aber er hat seinen Gott gefunden. Egoismus war der beste Freund jedes Gläubigen. Wie sollte sie Zacharias da einen Vorwurf machen?
Oben auf der Balustrade stützte Wilhelm von Poser sich mit schmerzverzerrtem Gesicht auf seine Tochter, während Sina und die anderen fasziniert weitergingen, näher und näher an die Öffnung heran. Dreißig Meter trennten sie noch von dem pechschwarzen Schlund.
So lange Zeit, dachte Sina berauscht, beinahe vierhundert Jahre.
Im selben Moment fiel ihr etwas auf: Wo war der Magier? Seit er sie und Dominik oben in der Burg alleingelassen hatte, hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Warum war er nicht hier?
Der Lichtschein auf den Wänden blendete sie noch immer. Sie bemerkte, daß eine ganze Anzahl der Arbeiter nicht zur Höhle, sondern hinauf in die Kuppel blickten. Sie beschatteten ihre Augen mit den Händen, einige wichen ein paar Schritte zurück, stießen dabei gegen andere.
Auch Sina löste ihren Blick von der Öffnung, drehte sich im Gehen um und schaute über die Köpfe der anderen hinweg nach oben.
Die Lichtquelle war in dem gleißenden Weiß nicht auszumachen. Es fiel Sina schwer, direkt in den Schein
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