Hex
brüllte Sina noch einmal.
Zacharias’ Sohn hatte all seine Gelassenheit verloren. Er stand jetzt einige Schritte von seinem Vater entfernt, hatte sich bereits halb zur Balustrade umgedreht, konnte aber zugleich den Blick nicht von der grauen Gestalt abwenden. Er schien zu begreifen, daß er nicht nur seine Träume und Wünsche verloren hatte; er war im Begriff, auch seinen Vater zu verlieren.
Jene, die die Flucht ergriffen hatten, waren irgendwo im Tunnel verschwunden. In der Ferne hörte man ihre Rufe, als sie auf Felsen stießen, die den Ausgang versperrten.
Alle anderen am Boden der Halle standen still. Nur die Gestalt des Priesters schleppte sich ganz allmählich auf Zacharias zu.
Sina und Max traten auf die Balustrade. Evelina stützte weinend ihren Vater, brachte kein Wort heraus. Von Poser fielen immer wieder die Augen zu, doch in den kurzen Momenten, in denen sie offenstanden, sprach aus ihren Blicken nackte Panik.
Sina starrte durch die Staubschwaden an Dominik vorbei auf die Gestalt.
»Er blinzelt nicht«, preßte sie tonlos hervor.
»Was?« Max wollte weglaufen, aber zugleich hielt ihn die bizarre Szene unten in der Halle an seinem Platz.
»In der Höhle war bis vor einer Minute kein Licht«, wisperte sie. »Eigentlich müßte ihn die Helligkeit draußen blenden.«
Dominik fuhr herum; er blickte wieder unschlüssig von seinem Vater zur Balustrade hinauf.
Fünf Schritte. Zacharias streckte der Gestalt zögernd die Hand entgegen.
»Vater, nein!« Dominik sprang plötzlich vor, wollte Zacharias mit sich fortziehen.
Die Gestalt war schneller. Sie ergriff Zacharias’ Hand, riß ihn zu sich heran und umarmte ihn.
Hinter ihnen wurde das Licht in der Höhle zu weißer Glut. Kälte schlug aus ihrem Schlund in die Halle. Jedem, der hineinblickte, kam es vor, als überzögen sich seine Augen mit einer Eisschicht.
Sina erkannte, daß das, was sie hatte kommen sehen, nicht die Gestalt gewesen war. Da war noch etwas anderes.
Der Priester umklammerte Zacharias mit beiden Armen. Der Alte schrie, seine Fäuste hämmerten auf die Gestalt ein. Die Arme des Priesters aber drückten nur noch fester zu.
Dominik starrte mit geweiteten Augen auf das ungleiche Ringen. Doch statt seinem Vater beizustehen, wirbelte er in haltloser Furcht herum, rannte so schnell er konnte auf die Balustrade zu.
Auch Max blickte ungläubig in die Halle. Sina hatte recht; die Kutte des Priesters war nicht aus Leinen, und auch sein Haar war zu strähnig. Die ganze Gestalt war aus demselben Stoff gemacht wie Eisensteins Ebenbilder. Der Priester war genauso künstlich wie sie.
Ein Soldat schrie auf und feuerte zwei Schüsse in den Leib der Kreatur. Die fremdartige Masse schluckte die Kugeln wie zäher Schlamm, die Arme des Priesters preßten weiter. Zacharias’ Augen drehten sich zur Seite, Speichel troff aus seinem Mund.
Im selben Moment, als Dominik die Treppe erreichte, barsten die Knochen seines Vaters unter dem Druck der Umklammerung. Doch immer noch drückte der Priester zu, fester und fester.
Max, Sina und die anderen torkelten zurück, sprachlos und voller Entsetzen. Ein Flut von Flüchtenden, Soldaten wie Wissenschaftlern, ergoß sich in die Richtung der Balustrade. Niemand begriff, was geschah, aber alle wußten genau, daß sie sterben würden, wenn sie auch nur einen Augenblick zögerten.
Dominik erreichte zusammen mit Sina, Max, Evelina und von Poser das Portal.
»Das Tor!« schrie Dominik, als sie durch den Bogen rannten. »Wir müssen das Tor schließen!«
»Glaubst du wirklich, daß uns das hilft?« brüllte Max im Laufen zurück.
Hinter ihnen brandete eine Lichtwelle durch die Halle, aber niemand aus der kleinen Gruppe sah, was sie bewirkte. Sie stürmten vorwärts, um eine Biegung und tiefer hinein in das Labyrinth unter dem Burgberg.
»Wohin?« rief Max außer Atem. Er stützte gemeinsam mit Evelina seinen Vater. Von Poser hatte wieder das Bewußtsein verloren und ließ die Beine schleifen.
»Wir können nicht durch die Kapelle, der Zugang ist gesprengt!« Dominik lief vorneweg, Sina war direkt hinter ihm.
»Es gibt eine Treppe, die hinauf zur Burg führt«, keuchte sie. »Ich habe sie zusammen mit deinem Vater benutzt.«
Dominiks Gesicht zuckte bei der Erwähnung seines Vaters. »Es gibt eine Treppe, aber sie liegt hinter einer alten Geheimtür. Sie läßt sich nur vom Treppenhaus aus öffnen.«
»Zeig uns den Weg!«
Als sie sich im Laufen zu Max, Evelina und von Poser umwandte, bemerkte sie, daß die
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