Hex
erwiderte sie, »sehr überzeugend.«
Sie schwiegen eine Weile, in der jeder seinen Gedanken nachhing.
Schließlich fragte Max: »Glaubst du wirklich, ein paar verrückte Norweger wollten mit der Hilfe der Lessing eine ganze Stadt zerstören?«
Sina knipste ihr Licht aus. Ihre Umrisse auf der Plane verschmolzen mit der Dunkelheit. »Mir scheint das ein wenig zu kaltblütig, nachdem dieser Konflikt seit über hundert Jahren weitgehend unblutig ausgetragen wurde. Und es will mir einfach nicht in den Kopf, weshalb ein deutsches Schiff darin verwickelt sein sollte.«
Max senkte seine Stimme zu einem Wispern. »Und wenn der Sprengstoff nicht nur von einem deutschen Schiff transportiert, sondern auch bei uns hergestellt wurde? Wenn Kapitän Selm seinen Auftrag nicht von irgendwelchen obskuren Norwegern, sondern von Deutschen erhielt? Von höchster Stelle?«
»So was darfst du nicht mal denken«, flüsterte Sina zurück, aber der Klang ihrer Stimme verriet, daß ihr selbst bereits ganz ähnliche Gedanken durch den Kopf gegangen waren.
»Hat das Reich irgendwelche Interessen an Grönland?« fragte er.
»Keine, außer den wissenschaftlichen, soweit ich weiß.«
»Aber das muß nichts bedeuten, oder?«
»Was?«
»Daß du es nicht weißt.«
»Sehr freundlich, Herr von Poser.«
»Ich meine das ernst. Es muß nichts bedeuten, daß wir alle nichts davon wissen. Nicht du, nicht ich, nicht das ganze Hex. Nicht einmal Zacharias.«
Sie zögerte. »Wenn es so wäre, wenn Selm seine Fracht wirklich in geheimem Auftrag der Regierung transportiert hätte, dann würde das bedeuten...«
»... daß Deutschland sich in den Konflikt zwischen Dänemark und Norwegen einschalten will.«
Sina stieß scharf die Luft aus. »Das wäre Wahnsinn.«
»Ganz meine Meinung.«
»Aber wir wissen ja nicht mal, ob die Lessing wirklich Sprengstoff geladen hatte. Was, wenn Jessen lügt?«
»Er hat ohnehin nur Vermutungen angestellt.«
»Und sie wie Tatsachen formuliert.«
»Was er über diese Scheibe meinte, daß Selm sich getäuscht haben könnte, glaubst du das?«
Sie wälzte sich auf ihrer Liege herum. »Er ist der Fachmann, nicht wahr?«
»Aber wenn das, was er über Selm und den Sprengstoff sagte, eine Lüge war – rein theoretisch, versteht sich –, dann könnte auch alles andere gelogen sein.«
»Womit wir wieder so schlau wären wie zuvor.«
»Vielleicht sollte ich ein paar Treppen vermessen – das regt die Geistestätigkeit an.«
»Untersteh dich.«
Er lächelte im Dunkeln. »Du klingst wie Larissa.«
Sina schnaubte verächtlich. »Du wirst bitte nicht sentimental werden, ja? Ich kann weinende Männer nicht ausstehen.«
»Und das, wo ich dir gerade mein Herz öffnen wollte, mit allen Sorgen und Nöten und...«
»Ich verzichte.«
Er grinste zur schwarzen Decke hinauf. In der Tiefe der Schiffshülle dröhnten leise die Motoren. »Du hast sicher Erfahrung mit weinenden Männern.«
Sina trat ihm durch die nachgiebige Plane gegen das Schienbein. »Hab’ ich getroffen?«
»Perfekt. Vielen Dank.«
»Du verzichtest darauf, mir dein Herz auszuschütten, und ich laß dich mit meinem Kram in Frieden. Einverstanden?«
»Und dabei wirkst du doch wie eine so geduldige Zuhörerin, so gelassen, so verständnisvoll«, sagte er schmunzelnd.
»Freut mich, wenn du diesen Eindruck hast. Du solltest...«
Max fuhr schlagartig im Bett auf. »Still!« zischte er.
»Was ist los?«
Angestrengt horchte er in die Finsternis.
Da war es wieder! Neben ihm, in der leeren Kabine. Etwas raschelte. Ganz leise nur.
»Verdammt!« Im gleichen Augenblick war er auf den Beinen und stürzte mit Schlafanzugshose und nacktem Oberkörper zur Tür. Riß sie auf.
Ein Schatten wirbelte an ihm vorbei, den Gittersteg hinunter. Die Notbeleuchtung am Geländer reichte gerade aus, um den Weg zu markieren. Die größeren Glühbirnen waren während der Nachtruhe abgeschaltet. Max sah eine Gestalt, die in Richtung Bug davonrannte.
Fluchend sprang er zurück in die Kabine, riß seine Waffe unterm Kopfkissen hervor und stürmte wieder nach draußen. Die Gestalt war bereits im Dunkeln verschwunden, aber er hörte das Klirren der Gitter unter ihren Füßen. So schnell er konnte, rannte er dem Flüchtenden hinterher. Schon nach wenigen Schritten fühlten sich seine nackten Fußsohlen auf den scharfkantigen Gitterstreben an, als liefen sie über Messerklingen.
Er wußte nicht, ob Sina ihm folgte, hastete einfach den Steg hinunter. Außer den Abzweigungen zwischen den
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