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Hex

Titel: Hex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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in ihre Gesichter zu sehen. Er wollte an ihren Emotionen teilhaben, vor allem an denen der Frau. Er hatte sie wiedererkannt.
    Er war noch nicht sicher, ob das seinen Auftrag komplizieren würde. Aber ihn selbst verwirrte es. Damals hatte sie ihr Haar noch nicht kurz getragen. Sie war jünger gewesen, noch jünger.
    Er sah, wie der Mann den Kastenteufel öffnete und erschrocken über die Brüstung warf. Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte dieser Anblick den Magier amüsiert. Es waren immer die ältesten Tricks, die die größte Wirkung zeigten. Auf der Bühne wie auch im wirklichen Leben. Die alten Tricks, die alten Reaktionen, die alten Gefühle. Ein endloses, endloses Möbiusband.
    Natürlich war sein Repertoire noch nicht erschöpft. Er hatte eine ganze Reihe von Kunststücken auf Lager, wirkliche Wunder. Kein mechanischer Firlefanz, sondern wahre Magie. Oder wenigstens beinahe. Er würde noch warten damit, warten, bis er Land unter seinen Füßen spürte, bis er selbst nicht mehr Bruchstück einer viel gewaltigeren Zauberei war, dem Wunder des Fliegens. Er hatte maßlosen Respekt vor jenen, die sich als erste in die Luft erhoben hatten. Sein eigenes Geschäft war der Handel mit der Erfüllung uralter Träume, aber er verkaufte den Menschen Illusionen, und das hier war die Wirklichkeit. Es war eines der wenigen Dinge, die ihn tief beeindruckten. Und er wußte, wie schwierig es war, auf andere Eindruck zu machen.
    Sein Ruf war ihm stets vorausgeeilt, schon damals. Der Magier hatten sie ihn genannt, bis er beinahe selbst daran glaubte. Bis aus dem alten Magier ein neuer wurde. Bis ein paar Kinder sein Leben veränderten.
    Und nun war er hier, um sein Dasein von damals zu erneuern, die alte Kunst um die neue zu bereichern, die Symbiose des einen Ichs mit dem anderen.
    Aber weshalb mußte gerade sie hier auftauchen? Warum von allen ausgerechnet sie ?
     
    Ganz vorne, am Ende des Laufsteges, dort, wo die Verstrebungen der Hülle aneinanderstießen, gab es eine Plattform, die vollständig von Holzwänden umschlossen war. In ihrer Mitte standen zwei Bänke in der Form eines V. Jenseits einer runden Glasluke, dreimal so groß wie die Tür, gähnte der Abgrund der Nacht.
    Der Sturm war vorübergezogen, ohne das Schiff zu erfassen. Und nun war die Dunkelheit erfüllt vom Flackern und Glitzern und Gleißen der Sterne. Weit, weit unten spiegelten sich Mond und Gestirne auf den Wellen des Nordmeers, und wenn man nicht genau hinsah, dann schien es, als sei die Polar rundum vom Weltall umgeben. Nur daß die Lichter in der Tiefe zuckten und bebten, wenn sie sich auf den Wogen brachen, während die am Himmel stillstanden. Starr und unveränderlich. Tot und eisig kalt.
    Die Polar rauschte mit mehr als hundert Stundenkilometern durch die Nacht, doch in ihrem Inneren war es, als stände sie still. Allein der rhythmische Herzschlag des Schiffes, das Wummern der Motoren, erinnerte Sina daran, daß sie sich vorwärtsbewegten. Daß sie einem Ziel entgegenrasten, das plötzlich zweitrangig für sie geworden war.
    Sie begriff jetzt, weshalb Max sie hierhergeführt hatte. Der Anblick des Nichts vor der Luke, das Gefühl einer überwältigenden Tiefe in allen Richtungen hatte etwas Beruhigendes. Es rückte die Dinge in die richtige Perspektive. Und doch fiel es Sina schwer, ihr Wollen und ihre Empfindungen in Gleichklang zu bringen. Sie wollte ruhig sein, aber ihr Körper zitterte noch immer, und es gelang ihr nicht, sich zu konzentrieren.
    So saßen sie da, Abgrund und Eingang gleichsam im Blick. Sina schwieg, kämpfte mit sich und ihrer Erinnerung, während Max – nun, er redete und redete.
    »Das hier ist der schönste Platz in jedem Luftschiff«, erklärte er mit leiser, beruhigender Stimme. »Allerdings nur während der Fahrt. Beim Landemanöver versammelt sich hier vorne die Trimmannschaft. Das sind alle die von der Besatzung, die bei der Landung nichts zu tun haben. Sie stehen auf Abruf in der Messe bereit, bis der Kapitän sie zur Verlagerung des Gewichts nach vorne befiehlt. Dann zwängen sie sich hier herein und warten. Sobald das Schiff aufsetzt, brechen alle in Jubel aus, alles schreit und johlt durcheinander.«
    Sina bemerkte, wie er sie anblickte, wie er versuchte, zu ihr durchzudringen. Sie kam sich dumm vor, unnütz, und doch gelang es ihr nur ganz allmählich, sich wieder unter Kontrolle zu bekommen. Sie hatte kaum zugehört, was er ihr erzählt hatte, aber darauf schien es ihm auch nicht anzukommen.
    »Ich habe so einen

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