Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Hex

Titel: Hex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
Kabinentrios gab es so gut wie keine Quergänge im Schiff. Der Hauptsteg, die Mittelachse der Lufthülle, führte schnurgerade von einem Ende der Polar zum anderen. War es schon beim Start des Schiffes finster in der Hülle gewesen, so herrschte nun vollkommene Schwärze. Der Abgrund unter ihm hätte ebensogut hundert oder tausend Meter tief sein können, es hätte keinen Unterschied gemacht.
    Der Steg schien leicht zu schwanken, zumindest sagten ihm das seine Instinkte. Sie schrien ihn an, er möge nicht so schnell rennen, nicht so ungestüm, sonst laufe er Gefahr, über das Geländer zu stolpern. Aber Max hatte keine Zeit, Rücksicht auf seine Ängste zu nehmen. Er mußte wissen, wer sie belauscht hatte. Mußte erfahren, was der andere wußte.
    Das Schiff war wie ausgestorben. Nur Führergondel und Motorenkanzeln waren mit den Männern der Nachtschicht besetzt, der Rest der Besatzung schlief. Max erreichte eine Plattform, von der aus eine Metalltreppe in die Tiefe führte. Irgendwo da unten mußte der Einstieg zur Brücke sein. Dorthin aber würde der Lauscher nicht fliehen – es sei denn, Jessen selbst hätte ihn geschickt.
    Max beschloß, weiterhin dem Steg zu folgen. Das blasse Lichtband der Notbeleuchtung endete vierzig oder fünfzig Meter weit vor ihm. Irgendwo dort vorne mußte es an den Bug der Lufthülle stoßen. Max konnte in der Dunkelheit nicht erkennen, ob es vorher weitere Abzweigungen gab. Auch die Gestalt schien verschwunden. Der Lärm seiner eigenen Schritte auf den Gittern hatte die Laute des Flüchtenden übertönt. Als Max für einen Augenblick stehenblieb und horchte, hörte er nichts als das gedämpfte Brummen der Motoren und das Jammern des Windes, der über die Hülle pfiff.
    Vorsichtig ging er weiter, langsamer, die Waffe im Anschlag. Es war eine leere Geste; in der Finsternis gab es ohnehin nichts, auf das er hätte zielen können. Rechts und links von ihm schälte sich ein Wald von Trägern und Kabeln aus dem Dunkel, schimmernd im fahlen Schein der Notleuchten. Ein ideales Versteck.
    Max spürte, wie ihn Nervosität überkam. Plötzlich kam er sich albern vor, wie er mit einer Waffe in der Hand dastand. Er war Kulturhistoriker und von seinem Vater in die Rolle des Hex-Agenten gezwungen worden. Er hatte eine Ausbildung durchlaufen wie alle anderen, und er konnte leidlich mit einer Pistole umgehen, aber nicht gut genug, um es mit einem entschlossenen Widersacher aufzunehmen. Zudem war er alles andere als eine Kämpfernatur.
    Der Trick war, den Gegner nichts von seinen Selbstzweifeln spüren zu lassen. Leider ein Trick, den er nicht allzu gut beherrschte.
    Seine Hand zitterte leicht, jetzt, wo sein Jagdinstinkt schwand und der erste Adrenalinschub an Wirkung nachließ. Wo blieb Sina?
    Mit behutsamen Schritten näherte er sich dem Trägerwald zu beiden Seiten des Steges. Die meisten Streben waren aus Holz oder Leichtmetall, dünne Stangen, nicht breiter als sein Unterarm. Untauglich zum Hinauf- und Hinunterklettern. Aber da waren auch andere, viel massiver und kräftig genug, das Gewicht eines Menschen zu tragen. Hinzu kamen zwei straff gespannte Strickleitern, die rechts und links zur Decke der Lufthülle führten. Sie verschwanden nach kaum drei Metern in der Finsternis.
    Max fühlte, wie sein Herzschlag raste. Sorgsam blickte er in alle Richtungen, während er dem Hohlweg durch das Holz- und Metallgestrüpp folgte. Der andere konnte überall lauern, neben ihm, unter ihm, sogar über seinem Kopf. Wenn er sich einfach von oben herabfallen ließ, hatte Max keine Chance.
    Etwas stand vor ihm auf dem Gittersteg. Er bemerkte es erst, als er fast mit dem Fuß dagegenstieß. Es war ein faustgroßer Würfel, blau bemalt. Auf seiner Oberseite klebte ein goldener Stern.
    Irritiert schaute Max sich um. War das Ding hierhergestellt worden, um ihn abzulenken? Würde sein Gegner sich auf ihn stürzen, wenn er sich nach dem Würfel bückte?
    Und wenn der Flüchtende den Klotz verloren hatte? Vielleicht verbarg sich darin ein Hinweis auf die Identität des Lauschers.
    Noch einmal blickte er sich um, versuchte, die Finsternis mit seinen Blicken zu durchdringen. Falls der andere sich hier irgendwo versteckte, so mußte er das außerhalb des Lampenscheins tun, also mindestens zwei oder drei Schritte tief im Gewirr der Kabel und Streben. Niemals würde er schnell genug heran sein, um Max daran zu hindern, den Gegenstand aufzuheben. Diese Überlegung war es, die ihn blitzschnell in die Hocke gehen ließ. Die

Weitere Kostenlose Bücher