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Hex

Titel: Hex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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weiß, weshalb Sie nach Ittoqqortoormiit wollen«, sagte er. Zum ersten Mal hörten sie den Namen der Stadt in der korrekten Aussprache, dennoch klang er nicht weniger unverständlich als aus dem Munde Zacharias’.
    »So?« fragte Sina mit gelinder Neugier. Sie war gespannt, was der Alte der Luftschiff-Reederei erzählt hatte, als er ihre Plätze an Bord der Polar reservierte.
    Jessen nickte und nahm einen riesigen Zug aus seinem Glas, der mangelnde Weinkenntnisse verriet. »Sie interessieren sich für den Absturz der Lessing, nicht wahr? Und für die Explosion.«
    Verwundert und ein wenig verunsichert sahen Sina und Max sich an. Damit hatten beide nicht gerechnet. Sie waren in der Annahme an Bord gegangen, ihr Auftrag laufe unter strengster Geheimhaltung.
    Der Kapitän schien ihre Gedanken zu lesen und lächelte. »Sie haben doch nicht ernsthaft angenommen, eine Katastrophe wie diese spräche sich nicht herum? Himmel, ich kannte die halbe Besatzung der Lessing persönlich. Der Kapitän und ich waren befreundet.«
    »Das tut uns leid«, sagte Sina, und Max schob schnell hinterher: »Dann wissen Sie auch, was er gesehen haben will?«
    Jessen drehte sein Weinglas wie einen Cognacschwenker und schien nur Augen für den Inhalt zu haben. »Er hat es mir nicht mehr verraten, wie Sie sich denken können.«
    Sina schenkte Max einen tadelnden Blick. »Natürlich nicht.«
    »Aber Sie wissen es«, beharrte Max.
    »Ja.«
    »Was halten Sie davon?«
    Mit einem Seufzen lehnte der Kapitän sich zurück. »Ach, wissen Sie, Lichter und Scheiben und Pfeile am Himmel, all diese Dinge... das sind unsere Klabautermänner, unsere Fliegenden Holländer. Jeder, der hier oben herumfliegt, will so was mal gesehen haben. Und sei es nur, um sich wichtig zu machen.«
    »Sie wollen doch nicht behaupten, der Kapitän der Lessing wollte sich aufspielen – im Augenblick seines Todes?« gab Sina scharf zurück.
    »Natürlich nicht. Ich sagte Ihnen doch, wir waren Freunde. Aber es gibt oft natürliche Erklärungen für diese Sichtungen. Nordlichter, Kugelblitze, eine Reflexion auf einem anderen Luftschiff.«
    Max sah ihn durchdringend an. »Kapitän Jessen, wenn Sie einen Blitz sehen, erkennen Sie ihn dann nicht als Blitz?«
    Er trank einen weiteren Schluck aus seinem Glas. »Unter gewöhnlichen Umständen schon. Aber vielleicht hatte die Lessing andere Sorgen, Probleme mit ihren Maschinen, vielleicht. Was weiß ich? In Streßsituationen kann es durchaus vorkommen, daß man – auch ein Kapitän – eine Entdeckung, sagen wir, falsch interpretiert.«
    »Und die Explosion?« fragte Sina.
    Jessen beugte sich vor und fixierte sie mit seinem Blick. »Wissen Sie, was die Lessing geladen hatte? Ich weiß es nicht. Es gibt auch in diesen Regionen Transportgüter, die auf keinen Ladelisten auftauchen. In Ittoqqortoormiit braut sich ein Konflikt zwischen Dänen und Norwegern zusammen. Mag sein, daß das Schiff für eine dieser Gruppen etwas transportiert hat, unter der Hand, versteht sich.«
    »Waffen?« setzte Max nach. »Sprengstoff? Ist das Ihr Ernst?«
    »Wir alle sind nicht unbestechlich.«
    Sina sah Max unsicher an. Jessens Worte verwirrten sie. Weshalb gab der Kapitän zu, daß es zu solchen Unregelmäßigkeiten auf den Routen der Reederei kam? Er hatte »wir« gesagt, sich selbst also eingeschlossen. Sie glaubte nicht, daß er das aus Achtlosigkeit getan hatte. Jessen verfolgte damit irgendein Ziel.
    »Sie behaupten, die Lessing habe illegalen Sprengstoff an Bord gehabt?« Max beschäftigten die gleichen Gedanken wie Sina.
    Der Kapitän nickte langsam. »Das wäre möglich.«
    Sina gab sich damit nicht zufrieden. »Wissen Sie, wieviel Dynamit nötig ist, um eine Hitzewelle freizusetzen, die meterdickes Eis im Radius von vier Kilometern schmilzt?«
    Jessen lehnte sich träge zurück. »Keine Ahnung. Wissen Sie es?«
    Ihre Frage war rein rhetorisch gewesen, und es widerstrebte ihr, jetzt mit »nein« antworten zu müssen.
    Max kam ihr zur Hilfe. »Was könnten ein paar wildgewordene Norweger mit solchen Mengen an Sprengmaterial anfangen?«
    Der Kapitän verzog süffisant die Mundwinkel. »Ittoqqortoormiit von der Landkarte tilgen, zum Beispiel. Es gibt nur zwei Städte an der Ostküste Grönlands, beide sind dänisch. Die andere ist Tasiilaq und liegt tausend Kilometer weiter südlich. Wenn eine davon – oder gar beide – verschwinden würden, hätten die Norweger einen neuen Ansatzpunkt für eine Besiedlung der Region. Der Fischfang wird sich dort

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