Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Hex

Titel: Hex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
du?«
    »Nein, ich versteh’s nicht«, gab er mit heiserer Stimme zurück. »Aber so wie es aussieht, spielt das jetzt keine Rolle mehr. Wir müssen Jessen informieren.«
    Gedankenverloren wandte Sina sich zurück zur Luke. Die Sterne, der Ozean, die endlose Weite. »Ich weiß es«, flüsterte sie leise. Vor ihren Lippen beschlug das Glas. »Ich weiß es.«
    Und natürlich hatte er recht.
    Sie verschwieg ihm etwas.

Kapitel 2
    Der Verkehr auf dem Kurfürstendamm drohte zu erlahmen. Auf den Mittelschienen hatte eine Trambahn zwei Automobile ineinandergeschoben. Nicht einfach geschoben – sie hatte sie wie ein wildgewordener Stier auf die Hörner genommen und fast dreißig Meter weit über das Pflaster gerammt. Dabei hatte sich einer der Wagen mehrfach überschlagen und zwei Menschen in seinen Trümmern begraben. Solche Unfälle waren selten – zu jung war noch die weite Verbreitung der Automobile –, und so sorgte das Unglück unter den Zuschauern auf den Gehsteigen für hitzige Debatten.
    Larissa dachte beim Anblick der beiden Autowracks an Max und seinen Fahrstil, und fast war sie froh, daß er jetzt hoch in der Luft und nicht hinterm Steuer saß. Da oben gab es wahrscheinlich wenig, das er falsch machen konnte. Wenn sie ihn nur von der Führergondel fernhielten, dachte sie und unterdrückte ein Schmunzeln – die Menschen am Straßenrand hätten es mißverstehen können.
    Sie löste sich vom Geschehen auf den Gleisen – dem zertrümmerten Blech, dem gesplitterten Holz, den schreienden Opfern – und zwängte sich durch die gaffende Menge zur Haustür. Einige brummten unwillig, als sie ihnen für einen Augenblick die Sicht versperrte, andere beschimpften sie grob. Dann schlüpfte sie durch die letzte Menschenreihe, lief behende zum Eingang und tauchte erleichtert in die Ruhe des Treppenhauses.
    Der Tag im Atelier, ein Martyrium. Mindestens dreißigmal hatte sie eine enge Wendeltreppe hinauf und hinunterlaufen müssen, während die Scheinwerfer die Halle in einen Glutofen verwandelt hatten. Am Ende hatte die Kamera gebrannt, und alle waren umhergerannt wie aufgescheuchte Hühner. Wie es den Schauspielern in einer Hitze erging, in der sogar die Maschinen Feuer fingen, hatte niemanden interessiert.
    Sie war verschwitzt, ihr Haar klebte strähnig am Kopf, und sie hatte sich nur notdürftig abgeschminkt. Sie nahm an, daß sie wie ein Gespenst aussah. Ein häßliches. Es war ihr gleichgültig.
    Und sie hätte mit allem gerechnet, nach so einem Tag der Katastrophen, nur nicht damit, daß Wilhelm von Poser sie vor ihrer Wohnungstür erwartete.
    »Guten Abend, Larissa«, sagte Max’ Vater, als sie um die letzte Treppenkehre bog.
    Einen Moment lang wurde ihr abwechselnd heiß und kalt, dann fing sie sich und setzte ihr freundlichstes Filmlächeln auf.
    »Guten Abend, Herr von Poser«, grüßte sie beflissen.
    Er strahlte sie an und brachte es fertig, dabei vollkommen arglos auszusehen, als meinte er es tatsächlich ehrlich. Max, das wußte sie, hätte dieser Fassade nicht eine Sekunde lang Glauben geschenkt. Sie aber ließ sich leicht von Höflichkeit beirren, das war ihr größter Fehler – der größte, den sie eingestand –, und deshalb befreite sie sich von allen dunklen Vorahnungen. Er war hier, er war nett und bald zudem ihr Schwiegervater.
    Sie reichte ihm die Hand und erwartete für einen Moment allen Ernstes, daß er sie mit Handkuß begrüßte. Er aber beließ es bei einem herzlichen Handschlag, wobei er sie vertraut mit der Linken an der Schulter berührte. Das paßte ihr nicht, aber sie würde den Teufel tun, es ihn merken zu lassen.
    »Kommen Sie doch rein«, bat sie, nachdem die die Tür aufgeschlossen hatte.
    »Vielen Dank, gerne.« Er trat ein und wirkte auf Anhieb deplaziert in seinem teuren Automobilisten-Anzug, beige und braun kariert. Sie fragte sich, woran das lag. Ihr Einrichtung war nicht billig gewesen, und auch Max trug gute Kleidung und fügte sich nahtlos in diese Umgebung ein. Und doch schien sein Vater wie ein Puzzlestein, der den richtigen Aufdruck, aber die falsche Form besaß.
    Sie bat ihn, auf ihrem Sofa Platz zu nehmen. Sie selbst wolle sich nur kurz frisch machen, sagte sie, und werde gleich wieder bei ihm sein. Er erwiderte, sie solle sich nur genug Zeit nehmen, und dabei schaute er sich mit verstohlener Neugier um. Er war in all den Monaten, die Max und Larissa zusammen waren, kein einziges Mal hiergewesen.
    Sie ging in die Küche – viel zu schnell, das mußte er bemerken –,

Weitere Kostenlose Bücher