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Hex

Titel: Hex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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seinem Freund zum Geschenk machen wollte. Du kannst dir vorstellen, wie die Sache lief: Wir, ein Haufen junger Leute, gerade aus der Polizeischule entlassen und schon für einen Sondereinsatz abkommandiert, sollten Theater spielen! Wir haben tatsächlich ein Stück eingeübt, ziemlich schlecht, aber dadurch konnten wir während der gesamten Feier anwesend sein, ohne daß irgendwer Verdacht schöpfte. Sollte eine Situation eintreten, mit der Saarbecks Leibwächter nicht fertig wurden, würden wir ihnen zur Hilfe kommen. Aber damit rechnete sowieso niemand.« Sie warf einen kurzen Blick über den nächtlichen Ozean, doch diesmal stellte sich keine Entspannung ein. Sie sah wieder alles vor sich, jede Einzelheit. Das Fest, die Gesichter. Die Kinder.
    Schließlich sprang sie auf, lief zur Tür, öffnete sie einen Spalt breit und blinzelte hinaus in die Dunkelheit. Aber da war nichts. Nur der fahle Gittersteg über einem Schlund aus Schwärze.
    Sie drückte die Tür wieder zu und setzte sich, bemüht, Max’ beklommene Blicke zu ignorieren. »Wir waren nicht die einzigen, die getarnt zu dieser Hochzeit kamen. Es gab noch jemanden, einen Mann, den jeder für einen Einheimischen hielt, denn er beherrschte die Sprache perfekt. Nicht einmal die Dänen selbst bemerkten einen Unterschied. Er trat als Zauberer auf, der die zahlreichen Kinder, die am Fest teilnahmen, unterhalten sollte. Er hatte eine kleine Bühne errichtet, und dort versammelten sich die Jungen und Mädchen, die von ihren Eltern mitgebracht worden waren. Es müssen dreißig oder vierzig gewesen sein, alle gelangweilt und alle nur zu bereit, sich die Zeit mit ein paar Zauberkunststücken zu vertreiben. Niemand schöpfte Verdacht.
    Es war perfekt: der Magier getarnt als Magier. Diese Überheblichkeit! Aber natürlich hatte er recht. Er wurde ebenso arglos eingelassen wie wir selbst, in seinem bunten Kostüm, mit angeklebtem Bart und hoher, spitzer Mütze. Er stach unter allen Gästen hervor, und doch sah keiner sein wahres Gesicht unter der Maskerade.
    Er wollte Saarbeck mit seinen eigenen Waffen schlagen – mit Sprengstoff. Aber zum ersten Mal während seiner Laufbahn machte er einen Fehler. Sicher, Saarbeck kam ums Leben, ebenso seine Frau und die Braut des Dänen. Aber das war nicht alles.
    Der Magier hatte seine Bühne ein wenig abseits aufgebaut, doch er wußte genau, weshalb er das tat. Er hatte vorher auf irgendwelchen Wegen herausgefunden, daß der Besitzer des Anwesens Saarbeck durch den Park führen würde. Der Weg, den Saarbeck und sein Gastgeber nahmen, führte genau an der Bühne des Magiers vorbei. Soweit schien sein Vorhaben aufzugehen. Womit er nicht gerechnet hatte, war, daß einige seiner Informationen falsch waren. Der Rundgang fand früher statt, als er angenommen hatte. Seine Vorstellung war noch in vollem Gange, und auf dem Platz vor der Bühne tummelten sich die Kinder. Die Explosion hat dreizehn von ihnen in Stücke gerissen, elf weitere wurden verstümmelt. Und der Magier verschwand.«
    Sie hob die Hand und wischte sich Schweiß von der Stirn. Ihr war schlecht. Nervös wippte sie mit dem rechten Bein, und jedesmal wippte auch die Pistole auf ihrem Schoß auf und ab.
    Max starrte sie an, bis sie sich wie ein Affe im Tiergarten fühlte. »Was glotzt du mich so an?« fragte sie ungeduldig.
    »Du verschweigst mir etwas, oder?«
    Sie strich sich nervös übers Haar und schüttelte den Kopf. »Kurz, nachdem die ganze Sache vorüber war, bekam ich Probleme. Meine Nerven gingen durch. Zuckungen, epileptische Anfälle. Die Ärzte erklärten, das sei eine natürliche Reaktion auf die Ereignisse. Aber als dann das Hex gegründet wurde, war man, glaube ich, ganz froh, mich dorthin abschieben zu können. Und wenig später hörten die Anfälle auf. Ich wurde wieder... normal.«
    Sie erwähnte nicht, was im Filmatelier geschehen war. Das Schlimmste, was sie sich vorstellen konnte, war, daß er sich für sie verantwortlich fühlen würde.
    Er schaute eine Weile zu Boden und schien nachzudenken. Unter den Gitterstreben der Plattform klaffte die dunkle Leere der Lufthülle. Als er wieder aufsah, war sein Blick fest und unerbittlich.
    »Aber dieser Würfel, Sina... Herrgott, es war nur ein Würfel. Ein Spielzeug, nichts sonst.«
    Sie stand auf und trat an die Sichtluke. Das Glas war so kalt wie Eis, als sie ihre Hand darauf legte. »Ich weiß, daß er hier ist.« Schlagartig fuhr sie herum und starrte ihn aus geröteten Augen an. »Ich weiß es, verstehst

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