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Hex

Titel: Hex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Gespräche mit seinem Tumor, wenn er allein war. Er wußte, daß die Stimme, die er hörte, wahrscheinlich nur in seinem Kopf existierte, wußte auch, daß es für gewöhnlich nicht zu den Merkmalen von Krebsgeschwüren gehörte, Konversation zu betreiben. Aber es war eine Angewohnheit, die ihn beruhigte. Und es war fast schon eine Manie geworden, Entscheidungen vor allem gegen den Willen der Stimme zu treffen. Sagte sie »nein«, war für ihn ein »ja« selbstverständlich. Da die Stimme davon abriet, weiter nach dem Haus zu forschen, bedeutete das für ihn, er würde es erst recht tun. Es waren seine kleinen Siege vor der unabwendbaren Niederlage.
    Du solltest das nicht tun, mahnte die Stimme.
    »Du hast die Bilder von diesem Keller gesehen. Und von der Labortür. Das war eine Leiche, die dahinter lag.«
    Du hast doch kaum was erkennen können.
    »Und in welcher Beziehung standen die Bilder zu Eisenstein?« fragte er erregt, zog dabei den Topf vom Ofen und verbrannte sich fluchend die Finger. »Er hat dieses Haus gekauft, seine Unterschrift steht auf dem Vertrag.«
    Falls es überhaupt dasselbe Haus war.
    »Natürlich war es das.«
    Nach einem Moment innerer Stille, als Karel die Suppe in einen Teller füllte, meinte die Stimme: Und wie willst du vorgehen?
    »Ich werde noch einmal die Kayssler-Akten durchsehen. Irgendwo muß es einen Hinweis ergeben, irgendwas, das die übersehen haben.«
    Und dann?
    »Fahre ich hin.«
    Zum Haus?
    »Natürlich.«
    Aber falls diese Photographien wirklich mit Eisensteins Verschwinden zu tun haben, wurden sie wahrscheinlich vor sechs Jahren geschossen. Du wirst nichts mehr finden. Vielleicht steht nicht einmal mehr das Gebäude.
    »Aber den Versuch ist es wert.«
    Beim Essen nahm er Papier und Stift zur Hand und machte sich eine Liste mit Punkten, auf die er beim Studium der Kayssler-Akten achten wollte. Ganz nach oben setzte er »Haus / Keller / Labor«. Er verwünschte die Tatsache, daß er die Akten nicht mit nach Hause genommen hatte. So bestand die Gefahr, daß die beiden Männer in der Nacht zurückkehren und alle Beweise im Fall Kayssler verschwinden lassen würden. Er erinnerte sich an die merkwürdige Unordnung, die er am Morgen vorgefunden hatte; es wäre also nicht das erste Mal, daß jemand bei Nacht im Archiv herumschlich.
    Er mußte ihnen zuvorkommen. Der Tumor protestierte und malte mit boshafter Freude die schrecklichen Folgen seines Vorhabens aus. Damit aber festigte er nur Karels Willen, die Akten noch in dieser Nacht in Sicherheit zu bringen.
    Er mußte zwei Straßen weit gehen, ehe er ein Mietautomobil entdeckte, dessen Fahrer ihn zur Villa am Halensee brachte. Karel bat ihn, vor dem Haus zu warten, aber der Mann lehnte ab. In seinem Beruf sei jede Minute bares Geld, sagte er und ließ Karel in einer Abgaswolke am Straßenrand stehen.
    Die Krebsstimme höhnte, doch er beachtete sie nicht. Durch den nächtlichen Garten stieg er zur Veranda empor und klopfte an. Die Tür war offen. Der Pförtner saß an seinem Platz, den Kopf auf beide Arme gebettet, und schlief. Karel wunderte sich nicht mehr, daß sein Archiv bei Nacht in Unordnung geriet. Er erwog den Mann zu wecken, überlegte es sich dann aber anders. So blieben ihm umständliche Erklärungen erspart.
    Auf Zehenspitzen schlich er an dem reglosen Nachtwächter vorüber und eilte die Treppen hinauf. In den Gängen brannte Licht, und einige Bürotüren standen offen. Die Räume dahinter waren finster und leer. Die Glühlampen an den Korridordecken brummten leise, als sei in jeder ein Insekt gefangen.
    Er stieg die letzten Stufen zum Speicher hinauf. Die Tür des Archivs war geschlossen, aber nicht abgesperrt. Normalerweise war das nicht nötig. Manchmal schloß er am Abend ab, manchmal nicht. Er konnte sich nicht erinnern, ob er es heute getan hatte.
    Du bist unvernünftig, ermahnte ihn die Krebsstimme.
    Er trat ein und drehte den Lichtschalter. Mit einem Schnappen wurde der Speicher von diffusem Licht erfüllt. Die Beleuchtung hier oben war seit jeher eine Katastrophe. Die Lampe über seinem Schreibtisch erhellte gerade einmal den Vorraum und seinen Arbeitsplatz, nicht aber die Gänge zwischen den Regalen. Bei Nacht waren auch die Oberlichter im Dach nutzlos.
    Karel besaß eine schwere Handlampe, die er in einer Schublade des Schreibtischs aufbewahrte. Gelegentlich, wenn der Himmel sehr trüb war, benutzte er sie auch tagsüber. Jetzt aber war sie seine einzige Möglichkeit, die Kayssler-Akten im Schatten der

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