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Hex

Titel: Hex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Godthab. Die Inuit aber nannten sie Nuuk, ihr Wort für »Landzunge«. Mittlerweile gab es zwei Gruppen, die jede auf ihrem Namen bestand. Auf den dänischen Karten stand immer noch die alte Bezeichnung, doch unter den Einwohnern, auch den Dänen, hatte sich Nuuk eingebürgert. »Halten auch Sie sich daran«, hatte der Kapitän geraten, »vor allem, wenn Sie mit Einheimischen sprechen. Die Inuit fühlen sich geschmeichelt, wenn man sie und ihre Kultur ernst nimmt.«
    Die Stadt lag auf dem südlichen Zipfel einer grünen Halbinsel. Der Boden war mit Gras bewachsen, doch schien es keinerlei andere Gewächse zu geben, zumindest keine, die groß genug waren, um aus der Luft erkennbar zu sein. Nur wenige tausend Menschen lebten hier, doch für grönländische Verhältnisse war Nuuk eine Großstadt. Ein paar hundert Holzhäuser standen weitverteilt an den Küstenhängen. Ihr vorstechendstes Merkmal waren ihre bunten Fassaden. Die meisten hatte man gelb, blau, rot oder grün gestrichen, mit einheitlich weißen Fensterrahmen und schwarzen Dächern. Straßen gab es kaum, die meisten Häuser waren durch steinerne Treppen oder Trampelpfade miteinander verbunden.
    Max lächelte beim farbenfrohen Anblick der Stadt. Sie ließ auf ein vergnügtes Völkchen schließen.
    Das Flugfeld für Luftschiffe lag einige Kilometer nordöstlich der Stadt. Es grenzte, ebenso wie Nuuk, an die Küste der Halbinsel. Max konnte von hier oben keine Straße erkennen, die zur Stadt führte. Statt dessen entdeckte er einen kleinen Hafen, in dem mehrere Boote vor Anker lagen.
    Ehe Jessen die Trimmannschaft in die Aussichtskammer beordern konnte, verkrochen die beiden sich in ihren Kabinen, packten ihre Sachen zusammen und zogen gefütterte Mäntel, Handschuhe und Fellmützen über. Es ruckte ein paarmal, Jessens Stimme dröhnte verzerrt aus den Lautsprechern, dann lag die Polar fest am Ankermast. Schiffsjungen geleiteten die Passagiere zum Ausstieg und halfen ihnen die Treppe hinab. Max und Sina waren unter den ersten, die das Schiff verließen.
    Über das Flugfeld eilte ihnen ein kleiner, dicker Mann entgegen. Er mochte kaum einssechzig sein, trug eine dicke Felljacke und schlenkerte wild mit seinen kurzen Armen. Das Haar, das unter den Rändern seiner Mütze hervorschaute, war feuerrot. Max schätzte ihn auf Ende Fünfzig.
    »Frau Zweisam?« rief der Mann schon von weitem. »Herr von Poser? Sie sind es doch, oder?« Angesichts der Geheimhaltung ihrer Reise schien ihnen seine Offenherzigkeit weder angebracht noch klug.
    »Sie müssen Pfarrer Dorn sein«, entgegnete Sina, als sie nahe genug heran waren.
    Er strahlte vergnügt. »Heinrich Dorn zu Ihren Diensten, meine Dame, der Herr. Ich hoffe, Sie hatten einen angenehmen Flug? Ich muß das sagen, aber ich weiß natürlich, daß es so was nicht gibt – angenehme Flüge, ha! Es war die Hölle, nicht wahr?«
    Max verkniff sich ein Grinsen. Der Dicke hielt offenbar wenig von Diskretion. Abgesehen davon, schien Max der Vergleich mit der Hölle für einen Geistlichen recht gewagt.
    Sie tauschten eine Reihe von Höflichkeiten aus, während Dorn sie zu dem kleinen Hafen am Rande des Flugfeldes führte. Einmal noch blickte Max zurück und sah beeindruckt zum riesigen Leib der Polar empor. Sie schien ihm jetzt, da sie wieder an Land waren, ungleich größer und in gewisser Weise fast schön. Die Strahlen der untergehenden Sonne brachen sich golden und rot auf dem Aluminiumanstrich der Lufthülle; es sah aus, als glühe das Schiff und könne jeden Moment in Flammen aufgehen.
    Über einen knarrenden Holzsteg brachte Dorn sie zu einem kleinen Kutter, auf dessen weiße Steuerkajüte mit rotem Lack ein mannsgroßes Kreuz gemalt war. Beim Näherkommen sahen sie, daß die Farbe eine Auffrischung dringend nötig hatte. Sie war rissig und blätterte in handtellergroßen Fetzen vom Holz. Am Bug des Bootes stand in schiefen Lettern ein Name: Lola.
    Max neigte beim Lesen den Kopf. »Ist Lola etwa der Name einer Heiligen?« fragte er vergnügt.
    Dorn kicherte. »Die heilige Lola? Nee, die gibt’s nicht. Aber getauft hab ich den Kahn. Mit einer halbvollen Flasche Schnaps.«
    »Halbvoll?« fragte Sina.
    »Aber sicher«, erwiderte der Pfarrer, zog es allerdings vor, über den Verbleib der anderen Hälfte zu schweigen. »Es ist kalt hier oben, wissen Sie?« fügte er lediglich hinzu.
    Sie bestiegen das Boot und setzten sich auf eine feuchte Holzbank im Heck, während Dorn den Motor startete. Ein eiskalter Wind strich von der See

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