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Hex

Titel: Hex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Ein bösartiges Kichern ertönte – oder war es das Knistern des Feuers? Glutpfade schossen an den Regalbrettern entlang, flossen wie Vorhänge über Bücher und Ordner. Der Widerschein flackerte über das Gesicht der Gestalt.
    Karel stand da wie erstarrt. »Sie?«
    Etwas blitzte im Schwarz des Scherenschnitts.
    Eine Klinge zuckte heran und hieb den Tumor entzwei.

Kapitel 3
    Das erste, was sie von Grönland sahen, waren Möwen, die rund um das Luftschiff schwirrten, vorwitzig in die Fenster zu starren schienen und mit ihrem Geschrei sogar das Brummen der Motoren übertönten. Wenig später tauchte am Horizont ein schmaler Küstenstreifen auf, der mit beachtlicher Geschwindigkeit breiter wurde. Es sah aus, als steige das Landmassiv direkt aus dem Meer empor.
    Max hatte Klippen und Steilwände aus Eis erwartet, wie auf den Bildern der Polarexpeditionen, doch zumindest in dieser Hinsicht wurde er von Grönland enttäuscht. Die Küstenlinie bestand, so weit das Auge blickte, aus dunklem, karstigem Fels. Je näher sie ihr kamen, desto deutlicher wurden auch die zerfurchten Formen der Fjorde und kleinen Halbinseln, der Landzungen und natürlichen Becken, die Grönland auf der Karte das Aussehen einer riesigen, tropfenförmigen Koralle gaben. Tausende von Seevögeln erfüllten den Luftraum über der Küste, flatternd und kreischend, als protestierten sie empört gegen den riesigen Fremdkörper, der da majestätisch durch ihre Mitte schwebte.
    Die Sonne stand bereits tief im Westen, als der Schatten der Polar auf das Festland fiel. Durch die Aussichtsluke an der Bugspitze erkannte Max, wo in einigen Kilometern Entfernung der dunkle Fels- und Grasboden in ausgedehnte Schneefelder überging. Jenseits dieser Eisgrenze verschmolz der Horizont in milchigem Weißgrau mit dem Himmel.
    »Es heißt, wenn das Eis Grönlands schmilzt, steigen alle Ozeane der Welt um fast sieben Meter«, sagte Sina leise. Sie stand neben ihm am Fenster und blickte verträumt auf die Küste herab.
    »Es sieht anders aus, als ich erwartet habe.« Sein Blick wanderte gedankenverloren über den fernen Horizont.
    »Enttäuscht?«
    »Nein, nur überrascht.«
    »Du dachtest, das alles wäre ein einziger Eisblock, nicht wahr?« Sie beugte sich vor und hauchte gegen die Scheibe, bis sie beschlug. Dann zeichnete sie mit der Fingerspitze den Umriß Grönlands aufs Glas. »Wir sind hier unten, im Süden«, erklärte sie. »Laß dich nicht von den Felsen täuschen, die du siehst. Weiter nördlich rückt das Eis immer weiter vor zum Meer, bis die Gletscher schließlich direkt in die Brandung stürzen. Da oben wimmelt es nur so von Eisbergen.«
    »Auch in Ittoqqortoormiit?« Er hatte immer noch Mühe, den Namen der Stadt auszusprechen.
    »Keine Ahnung. Frag das unseren Kontaktmann in Nuuk.«
    »Er erwartet uns am Landefeld, oder?«
    »Sollte er zumindest.« Sie drückte keuchend das Kreuz durch und ließ ihre Fingerknöchel knacken. »Ich bin froh, wenn wir endlich da unten sind.«
    Er wußte, was sie meinte. Auch er fühlte sich in der Luft hilflos und ausgeliefert. Der Gedanke, sein Leben dem Schiff und seiner Crew mit all ihren menschlichen Schwächen anzuvertrauen, behagte ihm auch nach drei Tagen an Bord noch nicht. Hinzu kam die vage Bedrohung durch Sinas Schreckgespenst. Sie hatten Jessen über den Vorfall in Kenntnis gesetzt, und er hatte umgehend zwei Wachleute abgestellt, die bei Nacht vor ihren Kabinen Stellung bezogen. Sina war deshalb nicht viel wohler zumute, doch der gute Wille des Kapitäns schien sich auszuzahlen. Weitere Zwischenfälle blieben aus.
    Sina hatte darauf bestanden, ihre Mitreisenden und die Besatzung in Augenschein zu nehmen, in der Hoffnung, den Magier wiederzuerkennen. Doch nachdem Max ihr gut zugeredet hatte, hatte sie eingesehen, wie sinnlos ihr Vorhaben war. Sie hatte damals in Kopenhagen nicht einmal sein Gesicht gesehen; wie hätte sie ihn da identifizieren wollen? Angefangen von Jessen bis hin zu den Forschern, denen sie beim Essen begegnet waren, hätte es jeder gewesen sein können. Zudem glaubte Max noch immer nicht, daß der Lauscher wirklich derselbe Mann war, der vor Jahren Sinas Kindertrauma ausgelöst hatte. Es war ein Zufall, nichts sonst. Der Kastenteufel hätte jedem an Bord aus der Tasche fallen können.
    Kurz vor Sonnenuntergang kam Nuuk in Sicht. Jessen hatte ihnen erzählt, daß es einen ewigen Streit um den Namen der Hauptstadt gab. Als sie im 18. Jahrhundert von Dänen gegründet wurde, gaben sie ihr den Namen

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