Hex
Gleichgültigkeit, mit der er Zeitungen las oder Einkäufe machte, das überzogene Schlendern, mit dem er ihm folgte. All das gab dem Magier die Sicherheit, daß der Junge kein Profi war. Zwar jemand, der für seine Beobachtungen bezahlt wurde, aber kein Profi. Und das beruhigte ihn.
Es änderte allerdings nichts daran, daß er den Jungen loswerden mußte. Die Nacht und diese Straße waren dazu die beste Gelegenheit.
Bei Einbruch der Dunkelheit hatte er begonnen, sich auffälliger zu benehmen, um dem Jungen die Gewißheit zu geben, daß es sich lohnte, ihn zu verfolgen – und dafür Risiken in Kauf zu nehmen. Der Magier hatte seine Reisetasche enger an die Brust gedrückt, als befinde sich etwas von besonderem Wert darin; er hatte sich mehrfach umgesehen, als fürchtete er, beobachtet zu werden (freilich ohne dem Jungen zu erkennen zu geben, daß er ihn bemerkt hatte); und er hatte sogar, um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, eine Reihe kleiner Mädchen auf den Straßen angesprochen, ganz unverfänglich, aber sichtbar genug, um das Mißtrauen seines Verfolgers zu schüren. Danach wußte der Magier, daß sein Fisch am Haken hing. Jetzt mußte er ihn nur noch aus der Stadt locken, hinaus ins einsame, finstere Umland.
Und genau das war ihm gelungen. Während er noch stillschweigend die Kälte, die Nacht und seinen Auftrag verfluchte, bemerkte er, daß der Junge ihm immer noch folgte, selbst jetzt, da es fast auf Mitternacht zuging. Wahrscheinlich erhoffte der andere sich einen ganz besonderen Fang, einen, der ihm Lob, gar Beförderung einbrachte.
Der Magier lächelte unmerklich; die Menschen waren so schlicht zu durchschauen, so sorglos in ihren Schwächen. Keiner wußte das besser als er, der Meister von Täuschung und Illusion.
Die Schotterstraße verlief fast parallel zur Küste, allerdings in leichter Schlangenlinie, um Hügeln und vereinzelten Felsbrocken auszuweichen. Der Mond schien hell vom dunklen Himmel herab und beleuchtete die karge Landschaft in weitem Umkreis. Der Magier blickte nur ein einziges Mal verstohlen nach hinten und sah, wie der andere ihm in zweihundert Metern Abstand folgte. Dabei nutzte er jede Hügelflanke und jeden Fels als Versteck. Seine Bemühungen waren kindisch und überflüssig.
Der Magier schaute nach vorne und entdeckte, etwa auf halber Strecke zwischen ihm und dem spärlich erleuchteten Flugplatz, einen Felsbrocken, der annähernd die Form eines mannshohen Steinpilzes hatte. Dahinter machte die Straße eine leichte Rechtsbiegung und verschwand für zwanzig oder dreißig Meter hinter der schwarzen Silhouette des Felsens.
Er hatte bereits mehrere solcher Möglichkeiten für einen Hinterhalt ungenutzt gelassen, um seinen Verfolger in Sicherheit zu wiegen. Diese hier aber schien die letzte vor der Rollbahn zu sein und genausogut wie jede andere. Ohnehin hätte er den Jungen auch auf freiem Feld erwarten können, so naiv wie er war. Es war im Grund gleichgültig; in wenigen Minuten würde sein Gegner nicht mehr leben.
Der Magier beschleunigte seine Schritte und tauchte in den Schatten des Felsblocks. Er lehnte sich an den Stein und wartete.
Er konnte die Schritte des Jungen schon hören. Zügig näherten sie sich seinem Versteck. Der Magier machte sich bereit.
Die Laute verstummten. Der Junge war stehengeblieben.
Im selben Augenblick erkannte der Magier seinen Fehler. Sein Atem stieg in dunstigen Wolken hinter dem Felsen empor. Im Gegenlicht der Flugplatz-Scheinwerfer mußten sie deutlich zu sehen sein.
Du wirst alt, dachte er noch – und in der gleichen Sekunde erfolgte der Angriff!
Der Junge sprang um die von der Straße abgewandte Seite des Felsens. Er war unerfahren und viel zu nervös; trotzdem tat er das Richtige. Er rief den Magier nicht an, zögerte auch nicht; statt dessen stieß er gleich ein Messer in die Dunkelheit, in der er seinen Gegner vermutete.
Der Magier sprang zur Seite, gerade noch rechtzeitig, um dem tödlichen Stich zu entgehen. Trotzdem fuhr die Klinge tief in seinen rechten Oberarm. Mit einem Keuchen riß er sich los, die Klinge blieb in seinem Arm stecken – und der Junge war von einem Augenblick zum nächsten unbewaffnet. Mit aufgerissenen Augen blickte der Däne auf seine Klinge, dann setzte er nach. Zu spät. Der Magier drehte sich leicht und trat ihm mit ausgestrecktem Bein in den Magen. Ohne weitere Gegenwehr sackte der Junge zusammen.
Der Magier rang nach Luft. Stechende Schmerzen tobten in seinem Oberarm. Trotzdem packte er das Messer und
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