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Hex

Titel: Hex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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rollte nach rechts und nach links. Ihr Schein geisterte über die Wände.
    Mündungsfeuer erhellte die Hütte, zweimal, dreimal. Der Mann mit der Pistole sprang über Sina hinweg, blieb vor dem am Boden liegenden Attentäter stehen und feuerte zwei weitere Kugeln in seinen Körper. Dann erst beugte er sich zu Sina herunter und fragte: »Hat er Sie erwischt? Sind Sie schwer verletzt?«
    Sie erkannte Legrands französischen Akzent. Echte Sorge sprach aus seiner Stimme.
    »Max«, brachte sie keuchend hervor. »Sehen Sie nach Max. Er... er bewegt sich nicht. Er...«
    »Psst«, machte Legrand und legte ihr sachte seinen Zeigefinger auf die Lippen. »Nicht sprechen. Warten Sie. Ich sehe nach Ihrem Freund.«
    Während er nach seiner Taschenlampe griff und zu Max hinüberging, entstand am Eingang ein Tumult. Mehrere Inuit waren herbeigestürmt, als sie die Schüsse gehört hatten. Jetzt drängte sich Lattuada zwischen ihnen hindurch, in seiner Hand eine Öllampe. Er rief den Eskimos Befehle zu. Wenig später begann hinter der Hütte ein Generator zu wummern. Die Glühbirne an der Decke flackerte an und aus und wieder an. Schließlich tauchte sie den Raum in gelbes Licht.
    Lattuada wollte Sina zum Bett hinüber helfen, aber sie wehrte sich und drängte statt dessen dorthin, wo Max am Boden lag.
    »Was ist mit ihm?« stammelte sie. Ihr rechtes Auge begann zuzuschwellen, dort, wo die Faust des Attentäters sie getroffen hatte.
    »Er ist ohne Bewußtsein«, sagte Legrand, der Max’ Handgelenk hielt und seinen Puls zählte. »Aber ich sehe keine offenen Wunden, nur eine Prellung auf der Stirn.«
    Er hatte recht. Die Haut unterhalb von Max’ Haaransatz hatte sich dunkelblau gefärbt, war aber nicht aufgeplatzt.
    »Seien Sie vorsichtig«, meinte Lattuada. »Er könnte eine Gehirnerschütterung haben.«
    Sina blickte von Max hinüber zum Leichnam des Angreifers. Sein Gesicht war in die andere Richtung gewandt. Er trug die traditionelle Fellkleidung der Inuit. Jetzt erst bemerkte Sina, daß Legrands Oberschenkel blutete. Unweit von ihm lag am Boden eine mit Widerhaken besetzte Eskimoharpune. Ihre Spitze war ebenfalls voller Blut.
    Mehrere rotschwarze Einschußlöcher klafften in der Kleidung des Toten. Sein rechter Oberarm war blutdurchtränkt, ebenso das Fell über der Brust.
    »Helfen Sie mir«, bat sie Lattuada. »Ich will sein Gesicht sehen.«
    Der Architekt stützte sie während der wenigen Schritte bis zum Leichnam. Sina ließ sich neben ihm auf die Knie sinken und drehte seinen Kopf in ihre Richtung.
    Graublaue Augen starrten sie an. Der Tote war kein Inuit, auch wenn seine Kleidung diesen Eindruck erwecken sollte. Seine Haut war leicht gebräunt, das Haar dunkelblond. Er mochte ebensogut Däne oder Deutscher oder Norweger sein, das ließ sich nicht genau feststellen. Eine Durchsuchung seiner Kleidung erbrachte keinerlei Hinweise auf seine Identität. Statt dessen fand sie in seiner Tasche ein Kartenspiel. Die Karten klebten fest aneinander. Als sie den Stapel in die Hand nahm, berührten ihre Finger einen verborgenen Knopf am unteren Rand. An der Oberseite öffnete sich ein Schlitz. Eine bunte Konfettiwolke wirbelte ihr entgegen.
    »Was soll das?« fragte Lattuada verwundert.
    Sina brachte kein Wort hervor.
    Erst der Schachtelteufel, jetzt das präparierte Kartenspiel. Und natürlich der Mordanschlag.
    Eingehend starrte sie in das Gesicht des Toten. In ihrem Hinterkopf schwoll das Schreien der Kinder an, bis sie es kaum mehr ertragen konnte.
    Leise begann sie zu weinen.
     
    Die Sonne stand hoch über dem Eis, als Sina einen letzten Blick auf die Kraterebene warf. Die öde Felslandschaft lag dunkel und verlassen da. Kein Anzeichen von den Männern in Schwarz. Kein Flugzeug hätte auf so zerklüftetem Terrain landen können. Und trotzdem waren sie direkt aus dem Nichts aufgetaucht.
    Hinter den Hundeschlitten blieb das Lager des Eisarchitekten zurück. Lattuada stand inmitten der Inuitarbeiter und winkte ihnen zum Abschied hinterher. Schließlich waren Menschen und Hütten nur noch ein grauer Streifen vor dem endlosen Weiß der Eisfelder. Allein die gewaltige Akropolis war noch eine Weile länger zu erkennen.
    Sina hatte sich in der Nacht noch lange mit Lattuada unterhalten, während der alte Angakkoq sich um Max’ Verletzung gekümmert hatte. Der Schamane hatte ihr versichert, daß ihm keine Gefahr mehr drohte.
    Die beiden Hundeschlitten jagten mit halsbrecherischer Geschwindigkeit nebeneinander her. Sina saß auf einer

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