Hex
»Irgendwo muß es doch eine Verbindung zwischen all diesen Dingen geben. Die Explosion, die Männer in Schwarz, deine Vision, der zweite Mond, von dem der Angakkoq sprach... Wo ist da der gemeinsame Nenner?«
»Diese Wesen in der Vision des Ezechiel sind doch Engel, nicht wahr?« fragte Sina.
»Möglicherweise«, erklärte Lattuada. »Im Verlauf seines Berichts erwähnt er, daß sie auf einer Art Wagen mit vier glühenden Rädern durch den Himmel reisen. Haben Sie den etwa auch gesehen?«
Ein geisterhafter Schleier schien sich über Sinas Augen zu legen. »Da war so viel Licht, so viel Feuer. Ich weiß selbst nicht, was ich gesehen habe.«
»Herrgott!« warf da Legrand ein. »Wir reden hier über eine verdammte Vision! Ganz gleich, was Sie gesehen haben, es war nicht wirklich.«
Sina rief in plötzlichem Begreifen: »Aber das ist es doch!«
»Was meinen Sie?« fragte Lattuada.
»Der gemeinsame Nenner, den wir suchen. Es ist der Himmel!« antwortete sie aufgeregt. »Er ist es, der all diese Dinge miteinander verbindet. Der Mond des Angakkoq flog über den Himmel, die Explosion fand hoch über dem Boden statt, die vier Wesen in meiner Vision schwebten auf einer Wolke durch die Luft...«
»Und die Männer in Schwarz?« unterbrach sie Legrand.
»Sie haben es doch selbst gesagt«, erinnerte ihn Sina. »›Vielleicht sind sie vom Himmel gefallen.‹ Das waren Ihre Worte, Legrand.«
Er rümpfte verächtlich die Nase. »Ich bitte Sie!«
Sie lachte auf. Die anderen warfen sich besorgte Blicke zu. »Ich weiß, wie Sie das gemeint haben. Trotzdem, überlegen Sie doch! In dieser Kleidung können die Männer schwerlich über das Eis gekommen sein, aus Ittoqqortoormiit oder sonst woher. Der Krater aber war leer, wir haben uns gestern erst dort umgesehen. Und Lattuadas Inuitarbeiter haben wahrscheinlich längst jeden Stein umgedreht.«
Der Architekt nickte bedächtig.
»Also?« fuhr Sina fort. »Sie kamen nicht von außen, und nicht aus dem Krater. Bleibt nur...«
»Von oben«, führte Max den Satz zu Ende.
»Ja«, bestätigte Sina. »Das ist der einzige Weg. Sie kamen von oben, direkt aus dem Himmel!«
Der Magier wußte, daß der Zeitpunkt gekommen war. Vieles verwirrte ihn, vieles bereitete ihm Sorgen. Aber es gab keinen Zweifel mehr, daß er handeln mußte. Er hatte schon viel zu lange gewartet. Aus Neugier und weil es diese Frau war, die ihn reizte, diese Sina Zweisam. Er sah ihr Gesicht von damals vor sich, ebenso klar wie jene der Kinder. Die schmerzverzerrten, brennenden Kindergesichter.
Sie reizte ihn nicht aufgrund ihres Aussehens, nicht, weil sie hübsche Züge und einen schlanken Körper besaß. Die Anziehung, die er verspürte, war nicht sexueller Natur, keineswegs.
Indessen bereitete es ihm Freude, sie zu testen, zu erfahren, was sie wußte; ob sie sich an ihn erinnern würde, irgendwann.
Mittlerweile jedoch bezweifelte er, daß sie ihn wiedererkennen würde. Jetzt nicht mehr. Und es war auch gleichgültig. Er hatte nicht den weiten Weg zurückgelegt, um Spiele mit ihr zu spielen. Er hatte einen Auftrag, und alles, was ihn davon ablenkte, gefährdete seinen Ruf.
Er war der Magier. Und es war an der Zeit, Max von Poser ins Jenseits zu zaubern.
Jemand schnaubte in der Dunkelheit, ein anderer schrie auf. Sina schlug die Augen auf und sah doch nichts als Schwärze. Im Inneren von Lattuadas Hütte herrschte vollkommene Finsternis. Es mußte immer noch mitten in der Nacht sein, denn durch den Spalt unter der Tür fiel nicht der geringste Hauch von Licht. Der Architekt hatte Max und ihr seine Behausung für die Nacht überlassen, schlief selbst woanders und hatte auch Legrand ein eigenes Quartier zugewiesen.
Wieder das Schnauben, schweres Atmen, nicht weit von ihr. Schlagartig erinnerte sie sich, was sie geweckt hatte. Die Geräusche! Von mindestens zwei anderen Menschen, hier in der Hütte!
Ihr Oberkörper ruckte in der Schwärze hoch. Hastig sprang sie von den Fellen, setzte die Füße auf den Boden. Es gab keinen Zweifel: Da kämpfte jemand! Nur wenige Meter von ihr entfernt, auf der anderen Seite des Raumes.
»Max?« Blitzschnell tastete sie nach ihren Sachen, aber sie lagen nicht mehr dort, wo sie sie abgelegt hatte. Auch ihre Waffe war fort. »Max!«
Die Antwort war ein Stöhnen, dann leises Röcheln. Jemand bewegte sich, ganz nahe. Sie spürte den Luftzug. Verdammt, wo war ihre Taschenlampe? Aber auch die blieb verschwunden, egal, wohin sie tastete.
»Wer ist da? Max, was ist
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