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Hex

Titel: Hex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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schloß, sah sie immer noch die feurigen Gestalten am Himmel. Ihre Flammenkränze und Blitze tanzten über die Nachtseite ihrer Lider wie zuckende Nordlichter.
    Schließlich, nachdem es aussah, als hätte sie sich wieder unter Kontrolle, fragte Max, was geschehen sei.
    Sie war überrascht, wie klar ihre Stimme klang, als sie sagte: »Ich weiß es nicht, wirklich nicht. Aber ich habe etwas gesehen...« Und dann erzählte sie ihnen von den drei Männern in Schwarz, von der Berührung auf ihrer Stirn und den Traumbildern, die ihr erschienen waren.
    Legrand wußte offenbar nichts damit anzufangen, aber Max und Lattuada blickten sich in plötzlichem Begreifen an.
    »Die Vision des Ezechiel«, sagte Max und überlegte. »Signor Lattuada, gibt es hier im Lager eine Bibel?«
    »Natürlich.« Der Architekt lief aus der Hütte und kam wenig später mit einer kleinen, ledergebundenen Bibel zurück. Das Papier war hauchdünn und die Schrift winzig, aber es reichte aus, um die richtige Stelle zu finden. Sie befand sich in den hinteren Kapiteln des Alten Testaments.
    Max las sich die Zeilen leise durch, nickte dabei und reichte das Buch dann Sina. Sie überflog den Text. »Ja, das ist es. Der ganze Anfang, das war genau das, was ich gesehen habe.«
    »Hast du früher mal die Bibel gelesen?« fragte Max.
    »Als Kind in der Schule, aber nur Auszüge. Und an diese Stelle kann ich mich beim besten Willen nicht erinnern. Ich glaube nicht, daß ich sie je zuvor gesehen habe.« Sie erwartete Widerspruch, vor allem von Legrand, aber keiner der Männer sagte etwas. Alle drei wirkten gründlich verwirrt.
    »Vielleicht war es nur ein Zufall«, meinte sie mit schwacher Stimme, aber natürlich glaubte sie selbst nicht daran.
    »Selbst wenn, würde es noch nicht die drei Männer in den schwarzen Anzügen erklären«, entgegnete Lattuada. »Ich meine, da draußen herrschen zehn oder fünfzehn Grad unter Null! Sind Sie sicher, daß es keine Täuschung war? Sie waren geschwächt und...«
    Max unterbrach ihn. »Da waren Spuren im Schnee. Und es sah nicht aus, als stammten sie von den Fellstiefeln der Inuit. Sie beweisen, daß irgend jemand bei ihr war.«
    »Spuren?« fragte Sina erschrocken. Mehr noch als die anderen hatte sie selbst gehofft, daß sie Opfer einer Täuschung geworden war, irgendeines Wahnbildes, das der Rausch oder ihre Angst ihr eingegeben hatte.
    »Ja«, bestätigte Max und musterte sie eingehend, um ihre Reaktion studieren. »Von mehr als einem Menschen. Sie kamen vom Kraterrand und führten wieder dorthin zurück.«
    Sie schaute ihn flehend an, als hoffte sie, er würde die Worte zurücknehmen; trotz der Beleuchtung waren ihre Pupillen groß und dunkel. »Aber das ist doch unmöglich! Der Krater war leer, eine Einöde. Woher sollten Männer in Straßenanzügen kommen, wenn nicht« – sie deutete auf ihre Stirn – »hier heraus?«
    »Vielleicht sind sie vom Himmel gefallen«, bemerkte Legrand.
    Max wandte sich an Lattuada und sprach seine Überlegungen laut aus: »Könnten es einige dieser Männer gewesen sein, die Ihre Arbeiter im Krater gesehen haben? Diese Deutschen, von denen Sie sprachen...«
    Der Architekt runzelte die Stirn. »Schwerlich. Es ist Tage her, daß sie hier waren. Außerdem würde es nicht ihre Kleidung erklären. Die Männer, die von den Inuit beobachtet wurden, waren bestens ausgerüstet, mit Schneekleidung und technischem Gerät.«
    Legrand musterte die anderen voller Argwohn. »Von welchen Deutschen sprechen Sie?«
    Max und Lattuada wurde bewußt, daß sie etwas ausgesprochen hatten, das sie eigentlich vor dem Piloten hatten geheimhalten wollen. Dazu aber war es nun zu spät. Mit wenigen Sätzen erklärte Max ihm, was die Inuit gesehen hatten. Legrands Gesicht blieb starr und verriet keinen seiner Gedanken.
    Sina wagte einen Vorstoß: »Wissen Sie etwas über diese Männer, Legrand?«
    »Nein, gar nichts. Woher sollte ich?«
    »Ja«, bemerkte der Architekt im Flüsterton, »woher wohl?«
    »Wie meinen Sie das?« fuhr Legrand ihn an, doch der Italiener gab keine Antwort.
    Max ging eilig dazwischen, bevor es zu einem neuerlichen Streit kommen konnte. »Ich glaube, wir haben hier ein paar wichtigere Probleme, meine Herren.«
    »Sicher, nur keine Lösung in Aussicht«, gab Legrand beinah trotzig zurück. Niemand beachtete ihn.
    »Was tun wir jetzt?« fragte Sina und schwenkte die Bibel vor ihren Gesichtern. »Wenigstens darauf sollten wir nicht allzu viel geben.«
    »Ich weiß nicht...«, sagte Max langsam.

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