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Hex

Titel: Hex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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das innerhalb eines Herzschlags ändern konnte. Er war viel zu weit entfernt, um ihn rechtzeitig zu erreichen.
    »Wer hat Sie auf uns angesetzt?« fragte sie mit schwankender Stimme. »Jetzt können Sie es doch sagen. Ich meine, wer sollte Sie verraten?«
    »Ich wollte Sie nicht töten. Mein Auftrag lautete, Max von Poser zu beseitigen, aber nicht Sie. Ich glaube, ich werde ihn nicht erschießen. Vielleicht werfe ich Ihren bewußtlosen Freund einfach ins Meer.«
    »Wer gab Ihnen den Auftrag?« fragte sie beharrlich.
    »Ich hätte nicht geglaubt, daß ich jemals wieder am Steuerknüppel eines Flugzeugs sitzen würden. Aber unsere Eltern hatten eben doch recht: Irgendwann im Leben kommt einem alles, was man einmal gelernt hat, zugute. Meistens dann, wenn man am wenigsten damit rechnet. Das ist gut so. Der echte Legrand hatte leider keine Zeit mehr, mir die Funktionen seiner Maschine zu erläutern.«
    »Ich habe Ihnen eine Frage gestellt.«
    »Und ich gedenke nicht, Ihnen darauf eine Antwort zu geben.«
    Stumm starrten sie sich an. Der schneidend kalte Wind biß in Sinas Gesicht und ließ sie zittern.
    »Wissen Sie«, sagte sie schließlich, »ich bin fast froh, Ihnen doch noch von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen. Der große Magier persönlich. Wer hätte das gedacht?«
    »Was gedacht?«
    »Daß Sie mit einer Waffe in der Hand genauso aussehen wie jeder dahergelaufene Straßenräuber.«
    »Seien Sie nicht albern.«
    »Warum bringen Sie die Sache nicht endlich hinter sich?«
    Das überlegene Lächeln verschwand von seinen Zügen. Sie begriff, daß es ebenso nur eine Maske gewesen war, wie die Identität Legrands und alle anderen Rollen, die er in der Vergangenheit gespielt hatte. Er schüttelte den Kopf und sah sie traurig an. »Ich möchte mit Ihnen sprechen. Über die Kinder. Können auch Sie sie hören?«
    Ihr war, als gefriere ihr Herz. »Sie hören Sie?« fragte sie vorsichtig.
    »Jeden Tag und jede Nacht.« Er kam zwei Schritte auf sie zu. Aber diesmal wirkte es nicht bedrohlich. Die Mündung der Waffe zeigte noch immer auf den Boden. »Ich höre sie, wenn ich träume, und genauso oft, wenn ich wach bin. Und ich möchte wissen, ob es Ihnen ebenso ergeht.«
    »Ja«, sagte sie, ohne nachzudenken. Ja, verdammt, sie hörte die Schreie der brennenden Kinder, immer und immer wieder! Ihr Kreischen und Heulen und Jammern. Das Knistern ihrer lodernden Haare. Ihre verzweifelten Rufe um Hilfe. »Ich höre sie. Manchmal ist es fast, als wären es ihre Geister.«
    »Deshalb gingen Sie zum Hex, nicht wahr? Um zu erfahren, ob es ihre Geister sind.«
    Sina nickte stumm.
    Der Magier senkte seinen Blick. Einen Moment lang war er unvorsichtig. Aber Sina war nicht fähig, ihre Chance zu nutzen. Hier war jemand, mit dem sie sprechen konnte. Endlich jemand, der sie verstand, wirklich verstand, weil es ihm ganz genauso erging wie ihr. Und es war gleichgültig, wer er war und was er getan hatte. Allein sein Verständnis zählte.
    Sie spürte, daß er das gleiche empfand.
    Er sah wieder auf, seine Augen suchten ihren Blick. »Manchmal ist es, als wollten sie einen in den Wahnsinn treiben.«
    »Es wird ihnen gelingen, irgendwann.«
    »Ich habe gedacht, es würde es leichter machen.«
    »Was?«
    »Das Wissen, daß ich nicht der einzige bin.«
    »Aber das tut es nicht. Das kann es nicht.«
    Er blickte einen Augenblick auf die Waffe in seiner Hand. »Ich dachte, wenn ich Sie töte, dann schade ich mir damit selbst.«
    Ihr war nicht nach Sarkasmus zumute, doch in diesem Moment konnte sie nicht anders: »Schön für Sie, daß diese Gefahr offenbar nicht mehr besteht.«
    »Ich will Sie nicht töten. Es gibt so vieles, das uns verbindet.«
    Wieder durchlief sie ein eisiges Schaudern. »Nichts verbindet uns miteinander. Das Schicksal hat uns für einen kurzen Moment zusammengebracht, damals in Kopenhagen. Mehr nicht.«
    »So einfach ist es nicht. Das wissen wir beide. Sie waren es, die...«
    Zornig fuhr sie ihn an: »Seien Sie still! Es reicht, wenn ich es vor mir sehe, immer und immer wieder. Ich brauche Sie nicht, um mich daran zu erinnern.«
    »Die Wahrheit tut weh, ich verstehe das.«
    »Sie verstehen gar nichts.« Ihr Temperament wirbelte ihr Denken gehörig durcheinander, warf sie von einer Stimmung in die andere. Eben noch war da dieses trügerische Gefühl von Vertrautheit gewesen. Jetzt war sie wütend genug, um mit bloßen Händen auf ihn loszugehen. »Sie wußten, was Sie taten. Es war Ihr Plan, von Anfang an.«
    »Und Sie sind

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