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Hex

Titel: Hex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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fellbezogenen Bank im Heck des einen Schlittens und hielt Max’ reglosen Körper fest an sich gepreßt, damit er nicht hinunterfiel. Der Inuit, der das Gefährt übers Eis lenkte, warf ab und an Blicke nach hinten und lächelte mitfühlend. Wahrscheinlich glaubte er, sie trauere um ihren Geliebten.
    Legrand saß als Passagier auf dem zweiten Schlitten. Er hatte sich kurz nach dem Überfall schlafengelegt. Selbst als Sina ihm für ihre Rettung danken wollte, hatte er nur mürrisch abgewunken. Seitdem gab er sich wortkarg und nachdenklich. Er hatte nicht erklärt, weshalb er eine Pistole bei sich getragen hatte. Er sei von Sinas Schrei erwacht, hatte er gesagt, und sofort herbeigeeilt. Das sei ihr Glück gewesen.
    Damit Max und Sina zu zweit auf dem engen Schlitten Platz finden konnten, hatten sie ihr gesamtes Gepäck auf Legrands Schlitten verstaut, einschließlich ihrer Ausrüstung. Sogar die beiden Revolver hatten sie ihm in Verwahrung gegeben. Legrand hatte diesen Vertrauensbeweis mit einem knappen Nicken akzeptiert, aber kein Wort darüber verloren. Nun waren sie auf dem Weg zurück nach Ittoqqortoormiit, von wo aus der Franzose sie zurück nach Nuuk fliegen wollte.
    Sina hatte Max’ Kopf an ihre Brust gelehnt. Sie blickte sanft auf sein Gesicht herab, während der eiskalte Fahrtwind das Fell ihrer Kapuzen und Kragen zerzauste. Der Angakkoq hatte die Prellung auf Max’ Stirn mit einem Verband aus Tierhaut umwickelt. Seine Augen waren geschlossen. Er sah aus, als schliefe er tief und traumlos.
    »Was glauben Sie, wie weit es noch ist?« rief Legrand über das Knirschen der Kufen herüber.
    »Sollten Sie das nicht am besten wissen?« gab sie zurück. »Sie leben hier, nicht ich.«
    Daraufhin schwieg der Franzose einen Weile, ehe er sagte: »Ich kenne dieses Gebiet aus der Luft, aber hier unten am Boden könnten wir ebensogut am Südpol sein. Das macht keinen Unterschied. Alles sieht gleich aus.«
    Sina nickte bedächtig und blickte wieder voraus übers Eis. In weiter Ferne glaubte sie die blaue Linie des Ozeans zu erkennen.
    Zwei Stunden lang rasten die Schlitten durch die Eiswüste. Dann fiel das Gelände allmählich ab, sie verließen die Hochebene und näherten sich den Felshügeln der Küstenregion. Das Eis wurde dünner. Der Schnee lag gerade noch hoch genug, daß die Schlitten über ihn hinweggleiten konnten. Unterhalb eines Hügels ließen die beiden Inuit ihre Hunde anhalten. Die Eisschicht war hier kaum noch handbreit. Die hervorstechenden Felsspitzen und Geröllkuppen machten eine Weiterfahrt unmöglich. Jenseits des Hügels, das wußte Sina von Lattuada, lag das Meer.
    Sie hatte Legrand während der vergangenen Minuten sehr genau beobachtet, hatte darauf gewartet, daß ihm etwas auffiel. Aber der Pilot hatte einfach nur stumm vor sich hingeblickt ohne eine ungewöhnliche Regung. Erst jetzt, als sein Schlitten zum Stehen kam, dämmerte es ihm.
    »Wo sind wir hier?« fragte er verwundert und mit einemmal ein wenig mißtrauisch. »Das hier ist nicht der Ort, an dem wir gelandet sind.«
    »Ittoqqortoormiit, meinen Sie«, gab Sina zurück.
    »Ja, natürlich«, sagte er schnell.
    »Sie haben recht. Wir befinden uns etwa fünfzehn Meilen weiter nördlich.«
    »Warum?« Er blinzelte sie mißtrauisch an. »Was hat das zu bedeuten?«
    »Unsere Wege trennen sich hier«, gab Sina mit fester Stimme zurück. Ihr geschwollenes Gesicht schmerzte noch immer. Ansonsten hatte sie die Ereignisse der Nacht gut verwunden.
    »Ich verstehe nicht...«
    »Sie verstehen sehr gut, Legrand – oder wer immer Sie in Wahrheit sein mögen. Max und ich werden uns hier von Ihnen trennen. Die Schlitten setzen uns hier ab. Sie können nach Süden gehen, zur Stadt und ihrem Flugzeug. Max und ich werden dort unten ein Boot besteigen. Hier ist Ihr Geld.« Sie griff unter ihren Mantel und warf ein abgezähltes Geldbündel vor ihm in den Schnee. »Aber darauf ist es Ihnen doch ohnehin nie angekommen, nicht wahr?«
    Er blickte sie starr an. »Sie sollten mir erklären, wie Sie das meinen.« Noch immer tat er ahnungslos, und das wunderte sie ein wenig. Sie hatte diese Situation mehrfach mit Lattuada durchdacht, und jedesmal waren sie zu dem Ergebnis gekommen, daß Legrand seine Tarnung sofort aufgeben würde, wenn man ihn mit seinem Betrug konfrontierte. Er aber spielte weiterhin den Unwissenden. Gut, wie er wollte.
    »Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie uns heute nacht gerettet haben. Aber ich kenne Ihre Motive nicht, und das gefällt mir

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