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Hex

Titel: Hex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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fast blau, und schließlich sah er aus, als verliere er das Bewußtsein. Da erst machte sie sich Sorgen, daß sie zu fest zugetreten haben könnte.
    Aber sie konnte es nicht mehr rückgängig machen, und eigentlich wollte sie das auch nicht. Statt dessen ging sie neben ihm in die Hocke und klopfte die Taschen seines Overalls ab. Seine Hände hatte er fest zwischen die Beine geklemmt, als würde das die Schmerzen lindern. Offenbar hatte er mit allem gerechnet, nur nicht damit, daß Larissa ihn angreifen würde. Gut, dachte sie kühl, dann hat er wenigstens dazugelernt.
    In seiner Brusttasche fand sie einen Wagenschlüssel. Sie konnte kein Automobil fahren, hatte immer nur bei Max zugesehen. Aber wie es schien, würde sie jetzt nicht mehr darumherumkommen.
    Seine rechte Hand schoß vor, wollte sie packen, doch Larissa war schneller. Sie sprang zurück, holte aus und trat ihm vorsichtshalber noch einmal in die Seite. Er keuchte nur auf, sprach noch immer kein Wort und blieb stöhnend liegen.
    Im Vorbeilaufen hob sie die Waffe des toten Fahrers vom Boden auf, dann rannte sie die Straße auf dem selben Weg zurück, den sie gekommen waren. Irgendwo hinter der nächsten Kurve mußte der Mann seinen Wagen abgestellt haben.
    Sie entdeckte das Automobil am Straßenrand. Sie sprang hinein, löste mit dem Schlüssel die Sperre und startete den Motor mit dem Knopf des Elektrozünders. Der Motor jaulte auf, als sie versuchte, sich zu erinnern, wo sie zu schalten und welches Pedal sie zu treten hatte. Schließlich fuhr sie in Schlangenlinie los, bekam den Wagen aber nach fünfzig oder sechzig Metern unter Kontrolle.
    Als sie an der Stelle vorbeikam, wo das Automobil ihrer Entführer stand, bemerkte sie, daß der Leierkastenmann verschwunden war. Halb erleichtert – sie hatte ihn nicht umgebracht! –, halb entsetzt gab sie Gas.
    Ein lautes Scheppern ließ sie zusammenfahren, als der Mann gegen die Beifahrertür krachte. Seine Hände klammerten sich an den Griff, während er sich mit schmerzverzerrtem Gesicht alle Mühe gab, neben dem Fahrzeug herzurennen.
    Larissa beschleunigte noch mehr, der Mann stolperte und war plötzlich fort. Im Rückspiegel sah sie, wie er sich auf der Straße überschlug, sich aufrappelte und ihr wild gestikulierend hinterherschrie. Sie verstand nicht, was er rief, aber es brauchte keine große Phantasie, sich die Worte auszumalen.
    Nur wenige Kilometer, sagte sie sich gehetzt, das muß zu schaffen sein! Und dann zur Polizei. Nein, nicht die Polizei. Die würde sie nur an die Schwarze Reichswehr ausliefern. Sie zweifelte nicht einen Moment lang an den Worten des alten Assistenten, der sie gewarnt hatte, daß niemand ihr helfen würde. »Die Schwarze Reichswehr arbeitet für die Armee und die Regierung«, hatte er gesagt. Von offizieller Seite hatte sie keine Hilfe zu erwarten. Vielleicht war es das beste, wenn sie sich in irgendeinem Hotel einquartierte und ein paar Tage versteckte, um zur Ruhe zu kommen. Aber sie hatte ja nicht einmal Geld bei sich. Ihre Handtasche war im Mietautomobil in Berlin zurückgeblieben.
    Sie fuhr etwa zehn Kilometer weit durch die anbrechenden Nacht, dann entglitt ihr in einer scharfen Kurve das Steuer.
    Der Wagen raste vom Asphalt auf einen Acker. Dort blieb er im Schlamm stecken. Larissa wurde nach vorne geschleudert, riß gerade noch ihre Arme vors Gesicht. Dann krachte sie mit beiden Ellbogen gegen die Scheibe.
    Als sie erwachte, hing sie immer noch überm Steuer. Draußen war es stockdunkel. Es gelang ihr, die verzogene Tür aufzutreten. Kraftlos ließ sie sich ins Freie fallen. Rübenblätter dämpften ihren Aufschlag. Tränen liefen ihr übers Gesicht, aber sie hatte seltsamerweise kaum Schmerzen. Ihre Arme taten ein wenig weh, ebenso ihr Kopf, aber sie konnte alles bewegen und sich schließlich sogar auf die Beine stemmen.
    Angstvoll blickte sie sich um. Der Nachthimmel und die dunklen Felder verschmolzen nahtlos zu einer Wand aus Schwärze. Vor sich, in einiger Entfernung, sah sie Lichter. Viele Lichter.
    Sie schleppte sich zur Straße und schaute sich abermals um. Sie wußte nicht, wie lange sie ohnmächtig gewesen war. Vielleicht eine Stunde, vielleicht fünf oder sechs. Der Leierkastenmann war ihr zweifellos zu Fuß gefolgt, hatte sie aber noch nicht eingeholt. Demnach konnte sie nicht allzu lange ohne Besinnung gewesen sein. Trotzdem würde sie schnell sein müssen, wenn sie ihm doch noch entkommen wollte.
    Warum, verdammt, war weit und breit kein anderer Wagen zu

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