Hex
sehen? Ihre Entführer mußten die abgelegenste Route gewählt haben, die sie nur finden konnten.
Mühevoll machte Larissa sich auf den Weg, abgekämpft, zu Fuß, fast ohne nachzudenken. Erschöpft lief sie den Lichtern der Stadt entgegen, horchte auf Schritte in der Finsternis, doch da war nichts. Nur der Wind, der über die Felder streifte, und der unheimliche Schrei eines Käuzchens.
Dritter Teil
Die Sünden der Väter
Kapitel 1
Das Luftschiff landete in den frühen Morgenstunden. Während der Fahrt vom Flughafen Tempelhof zur Hex-Villa sprach Max zum ersten Mal seit Tagen wieder von Treppen. Da wußte Sina, daß es ihm besserging.
Er klagte gelegentlich über Kopfschmerzen, nicht erstaunlich in Anbetracht der Beule, die auf seiner Stirn glänzte. Manchmal hatte er Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren, aber das mochte ebenso auf die allgemeine Aufregung wie auf den Schlag mit der Inuit-Harpune zurückzuführen sein. Alles in allem war er mit der Besserung seines Zustands zufrieden.
Sinas Schwellung unter dem Auge war verschwunden, nur ein dunkler Ring war geblieben. Ihre Abschürfungen und Prellungen gingen ebenfalls zurück. Aber durch ihren Kopf schwirrten immer noch die Erinnerungen an die Begegnung mit dem Magier, und das waren vielleicht die schlimmsten Wunden, die die Ereignisse ihr geschlagen hatten – die Unfähigkeit, ihm all das Leid heimzuzahlen, das er über sie gebracht hatte.
Zum ersten Mal kam ihr der Gedanke, daß derjenige, der den Mord an Max in Auftrag gegeben hatte, gewußt haben könnte, was sie und den Magier verband.
»Sind Sie sicher, daß es hier ist?« fragte der Fahrer des Mietautomobils, als er den Wagen zum Stehen brachte.
»Ja«, gab Max zurück und kramte nach Kleingeld.
Sina hatte den Blick zur Villa gewandt. Entgeistert und entsetzt stieß sie Max mit dem Ellbogen an.
»Was ist?« fragte er, ohne hinzusehen.
»Schau dir das an«, erwiderte sie tonlos.
Max drückte dem Fahrer einen Schein in die Hand. »Stimmt so.« Dann erst blickte auch er an Sina vorbei durchs Fenster.
Keiner der beiden sagte ein Wort. Schweigend stiegen sie aus und traten vom Wagen an das schmiedeeiserne Gartentor. Fassungslos starrten sie durch das Gitter auf das, was vom Hauptquartier der Abteilung übriggeblieben war.
Hinter kahlem Buschwerk und Baumgerippen erhob sich die Ruine der Villa. Das Dach war verschwunden bis auf ein paar geborstene Balken, die wie gekrümmte Finger in den Himmel ragten. Um die glaslosen Fenster hatte Ruß die Fassade schwarz gefärbt. Ein Teil des ersten und zweiten Stockwerks war eingestürzt und hatte sich als ausgeglühte Trümmerfontäne in den Vorgarten ergossen. Zwischen Steinen und Balkenresten lagen die Überreste von Möbeln und immer wieder einzelne Bücher, denen die Feuersbrunst auf wundersame Weise nichts hatte anhaben können. Die Regengüsse der letzten Tage hatten das Papier aufgeweicht und zu welligem Brei zerschmolzen.
Das Gartentor war verschlossen. Max öffnete es mit einem kräftigen Tritt. Erschüttert wanderten sie durch den Garten, betrachteten die Ruine von allen Seiten und wußten nicht, was sie sagen sollten.
Da kam Max ein Gedanke. »Mein Manuskript!«
Sina blickte erst ihn, dann die Trümmer an. »War es...?«
»Ja.« Sein Gesichtsausdruck verriet Wut und Enttäuschung. Er besaß nicht einmal einen Durchschlag.
»Was ist hier nur passiert?« Sina ließ sich auf einigen Steinen nieder und starrte auf die Ruine.
Max lief unruhig vor der Ruine auf und ab, blickte immer wieder suchend über die Trümmer, in der unsinnigen Hoffnung, sein kostbares Manuskript doch noch unversehrt wiederzufinden.
»Wir sollten jemanden fragen, der uns verraten kann, was hier geschehen ist«, sagte Sina.
Max fuhr aus seinen Gedanken auf. »Dominik.«
»Oder den Alten. Irgendwen.«
»Dann laß uns hinfahren.« Er zögerte einen Moment. »Nur...«
»Was ›nur‹?«
»Ich will erst bei Larissa vorbeischauen.«
»Hat das nicht Zeit bis später?«
»Nein. Sie wird wissen, was passiert ist.«
Sina resignierte und trat mit Max hinaus auf die Straße, wo das Automobil sie erwartete. Max stieg ohne zu zögern ein. Sie aber verharrte ein letztes Mal, schaute sich um und ließ ihren Blick über die rußgeschwärzte Ruine wandern. Einen Augenblick lang hatte sie das Gefühl, daß ihr Tränen kommen würden, wenn sie noch länger stehenblieb. Sie wandte sich ab und setzte sich wortlos zu Max auf die Rückbank.
Max stürmte die Treppe hinauf und ließ
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