Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hexen in der Stadt

Hexen in der Stadt

Titel: Hexen in der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Engelhardt
Vom Netzwerk:
Anatomie zu Padua gelernt hatte.
    Der Befund war einfach genug. Ich erkannte auf den ersten Blick, daß die arme Frau einem Leiden erlegen war, das nicht selten und uns Ärzten wohlbekannt ist. Gerade wollte ich meinen Vortrag darüber beginnen, als stände ich im Hörsaal, da unterbrach mich der Pfarrer: »Ihr findet also keine Würmer?«
    »Natürlich nicht!« erwiderte ich, ärgerlich über die dumme Frage, und wollte fortfahren. Aber dazu kam ich nicht, denn mit aufgehobenen Händen überschrie mich der Pfarrer: »So ist es denn am Tage, daß die unselige Vögtin nicht an den Würmern gestorben ist, wie der Physikus immer behauptet hat, nicht an einer natürlichen Krankheit also, sondern aus unbekannter, ohne Zweifel teuflischer Ursache. Tragt sie hinaus auf den Platz vor dem Friedhof, da man die ungetauften Kindlein pflegt zu bestatten!«
    Nach diesen Worten brach der Aufruhr los, noch schlimmer als zuvor. Der Spruch des Pfarrers war allen zu milde. Nach der Grube unterm Galgen schrien einige, die Mehrzahl aber immer lauter nach dem Scheiterhaufen, der allein diesen Greuel tilgen könne. »Und die gleich mit!« kreischte die Megäre und wies auf das Jüngferchen, das sich schützend – ach so vergeblich! – über die Bahre geworfen hatte.
    Nun, es gelang mir im Schutze der Pistolen, die mein Kaspar im Anschlag hielt, sie wegzureißen und vor mir im Sattel zu entführen von dem Ort des Grauens. Fragt nicht erst, Pater, Ihr kennt sie. Später wurde sie meine Frau. Ich hab’ den schnellen Entschluß niemals bereut.«
    »So hat sie schon einmal im Verdacht der Hexerei gestanden?« fragte Pater Friedrich.
    »Nun ja, Ihr höret die Umstände. Jenes Weib, eine Magd aus dem Schloß, hatte die Leute seit langem gegen sie und ihre Mutter aufgehetzt und ihren Vater, den adeligen Vogt eines bischöflichen Weinguts, ganz unter ihre Gewalt gebracht. Zu jener Stunde hatte sie ihn anscheinend mit einem Trunk so berauscht, daß er unfähig war, für Ordnung zu sorgen. Seine Tochter meinte später freilich, auch nüchtern würde er nicht viel ausgerichtet haben, so ganz war er jenem Weibe verfallen. Von ihm und der übrigen Verwandtschaft meiner Frau haben wir nie wieder gehört, wie auch sie wohl kaum von uns. Denn wir verschwiegen ihren Namen und hielten unsern Wohnort geheim, um nicht Verfolger auf ihre Spur zu ziehen – oder Verwandte, was das gleiche bedeuten kann.«
    »So seid Ihr denn nicht nach Paris oder Leiden gekommen?« fragte Pater Friedrich mit leisem Lächeln. Er dachte daran, wie doch irdische Liebe das höchste Streben eines Mannes in ganz andere Bahnen lenken könne.
    Aber daran dachte Sebastian nicht, denn er erwiderte ernsthaft: »Nein, Peter, und das ist’s, warum ich Euch diese alte Geschichte erzählt habe, an die Veronika und ich kaum noch denken. Dies Erlebnis gab meinen Plänen eine ganz neue Richtung. Ich brauchte nur die geifernden Fratzen rings um das edle Totengesicht zu sehen, die Stimme des Pfarrers zu hören mit dem Unsinn über die Würmer und dem unbarmherzigen Richterspruch, um zu begreifen, daß dies Volk von einer schlimmeren Seuche ergriffen ist, als ärztliche Kunst zu heilen vermag. Sie zu bekämpfen, dünkte mich seit jener Stunde auf dem Dorfplatz eine größere Aufgabe, als fern vom Schmutz und Wahnsinn des Alltags allein der Wissenschaft zu leben, wie ich es vorgehabt hatte. Ich ließ mich als Afzt in einer kleinen Stadt nieder, weit genug von der Heimat meiner Frau. Zugleich mit den Leiden des Leibes bekämpfte ich mein Leben lang den Teufel Aberglauben, wo ich ihn traf – die Macht der Finsternis, wie Ihr ihn nennt.«
    »Und mit welchem Erfolg?«
    Sebastian zuckte die Achseln. »Auf fünf oder sechs Einsichtige, die ich zu überzeugen vermochte, kommen Hunderte, die mir mißtrauen. Niemals ist es mir gelungen, nur einen Hexenbrand zu verhüten. Wir haben oft den Wohnort wechseln müssen.«
    »Und Eure Frau?«
    »Warum fragt Ihr? Sie war immer eines Sinnes mit mir, meine treueste Mitkämpferin.«
    »Der Verdacht von damals hat sich niemals wiederholt?«
    »Was denkt Ihr!« Sebastian lachte auf, stutzte dann aber. Sein Gesicht spannte sich und wurde bleich. »Warum fragt Ihr das, Pater? Was wollt Ihr damit sagen?«
    Pater Friedrich schüttelte leise den Kopf, seine Stimme war nur noch ein Hauch: »Nicht sie ist in Gefahr. Aber man sagt ja, die Gabe vererbt sich. Ihren Namen hörte ich nicht in der Folterkammer, aber den Eurer Töchter. Heißt nicht eine von ihnen

Weitere Kostenlose Bücher