Hexen in der Stadt
Morgendämmerung neben der verhüllenden Decke durchs Fenster, die erste Amsel ließ sich hören. »Schlaf noch ein wenig, Veronika, du wirst deine Kräfte heut brauchen.«
Sie widerstrebte nicht. Er half ihr vom Schemel auf und führte sie am Arm die Treppe hinauf, behutsam, als könnte seine Fürsorge ihr etwas ersparen von dem, was unabwendlich bevorstand. Einen Augenblick lang zwang sie sich daran zu glauben, legte den Kopf an seine Schulter – und wußte doch, es war ein Wahn, daß es so wäre. Was zu ihrer aller Rettung geschehen mußte, das konnte nur sie tun, mit Gottes Hilfe, wenn ihr die trotz allem gewährt wurde. Als eine Stufe knarrte, flüsterte er: »Still, weck die Kinder nicht!«
»Ach, die schlafen fest«, murmelte sie.
Sie schliefen aber nicht, hatten die ganze Nacht kein Auge zugetan. Als die Mutter ihnen gute Nacht gewünscht und leise die Tür geschlossen hatte, reckte Sabine den Kopf aus den Kissen und flüsterte: »Du weißt es jetzt, ja?«
Katrin schluchzte in ihre Hände. »Wir sind verloren!«
Die Kleine widersprach tröstend: »Ganz und gar nicht, wenn wir das Richtige tun. Das müssen wir beraten. Die beiden da unten, die werden sich doch nicht einig, weil der Vater anders will als die Mutter, das hab’ ich schon gemerkt. Und so wird nichts geschehen, wenn wir nichts tun.«
»Aber was denn, was denn nur?«
Ohne Zögern, fast leichthin kam die Antwort: »Fortgehen, was sonst?«
Katrin schrie leise auf. »Nur das nicht! Wen sie dabei erwischen, der ist gleich ganz verloren.«
»Noch verlorener als verloren!« spottete das Schwesterchen und tröstete gleich wieder: »Sei nur ruhig, uns erwischen sie nicht, und wenn wir am hellichten Mittag durch das Stadttor gingen.«
»Wie willst du das anfangen?«
»Weil ich es so will. Du mußt mir nur vertrauen und keine Angst haben, Katrin, hörst du? Sonst gelingt es nicht.«
»Und wohin willst du?«
»Hör zu!« Sabine warf sich hinüber und flüsterte der Schwester ins Ohr: »Der Catalani, weißt du? Er ist immer noch in der Gegend, ich weiß auch wo. Er hat mir mal eine Botschaft sagen lassen. Wenn wir bis dahin kommen – er hat mich doch damals mitnehmen wollen.«
»Sabine! Eine so große Sünde wolltest du auf dich laden? Nein, nein, lieber…«
»Lieber sterben? Nein, ich nicht, Katrin! Die Sünde wird uns schon vergeben werden, wenn wir doch gar keinen anderen Ausweg mehr wissen.«
»Gibt es denn keinen?«
»Nein, Katrin, keinen. Nicht einmal in einem Kloster wärst du sicher, wenn die es erst einmal auf dich abgesehen haben.«
»Und die Eltern?«
»Für die ist’s besser, sie wissen nichts, wenn sie gefragt werden. Die Mutter schon – still! Sie kommen herauf. Denk dran: keine Angst haben, Katrin, nur mir folgen!«
Sie verstummten, denn die Eltern hätten sie hören können in ihrer Stube nebenan. Aber sie schliefen auch nicht mehr. Mit offenen Augen folgten sie dem wachsenden Tageslicht und dem ersten Sonnenstrahl, der die Wand herunter zu wandern begann, ungeduldig darauf wartend, daß es Zeit werde aufzustehen, ohne Argwohn zu erregen.
Als es endlich so weit war, hob Veronika den Kopf und fragte, nur halb wach: »Horch! Sind die Kinder schon auf?«
Sebastian hatte nicht geschlafen, sondern ihren Schlummer bewacht, von Sorge wachgehalten. Die kleinen Geräusche des Auf Stehens nebenan hatte er auch gehört. Er drückte seine Frau sanft in die Kissen zurück und murmelte: »Laß sie nur heut morgen deine Arbeit tun, schlaf weiter!«
Sie gehorchte, überwältigt von Erschöpfung, in einem Gefühl des Geborgenseins.
Danach mußte wohl auch er eingeschlafen sein, denn er erwachte von Schritten im unteren Flur und von Stimmen, die durchs Haus nach ihm riefen. Er schrak auf und öffnete die Tür. Die Morgensonne fiel breit herein, und im Hausgang unten drängten sich die Patienten. Daß ihn die Mädels aber auch nicht geweckt hatten wie sonst! Rasch kleidete er sich an und war im Nu unten.
Die Leute sagten, sie hätten die Tür wie immer unverschlossen gefunden, sich aber gewundert, weil sie niemanden gesehen hätten, auch nicht die Doktorin und ihre Töchter, die doch sonst immer so früh schon fleißig waren. Noch mehr wunderten sie sich, als der Doktor kaum antwortete und den ersten Kranken fast unfreundlich hereinwinkte.
Bald darauf kam Veronika eilig herunter, ging in die Küche, in den Hof, öffnete und schloß Türen. Dann trat sie in die Ordination und flüsterte ihrem Mann zu, der gerade einen
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