Hexen in der Stadt
Garten vor dem Zeller Tor eingeladen worden. Er hatte nicht mitgewollt. Ein einsamer Tag über seinen Büchern war ihm hochwillkommen gewesen. Nun saß er hier im Freien und ließ seinen Geist in einer lichteren Welt umherschweifen, fern der grausamen Wirklichkeit. Wieder beugte er sich über das Mikroskop, dies kostbare Fenster in noch unentdeckte Reiche, und zeichnete mit Entzücken das zarte Geäder im Flügel einer Biene nach.
Da störte ihn die Hausglocke auf. Er runzelte die Stirn. Aber durfte er für einen Kranken nicht daheim sein? Nicht allzu eilig ging er, die Tür zu öffnen. Draußen stand Pater Friedrich. Seine erste Regung war wie jedesmal, wenn die schwarze Gestalt bei ihm eintrat, ein leiser Schrecken. Bei aller Freundschaft wurde er nie den Gedanken los, daß dieser Mann einmal aus sehr ernstem Anlaß kommen könnte, er, der alle Geheimnisse der Verhöre kannte und von jeder Besagung wußte. Aber Sebastian schalt sich für diesen Argwohn, drängte das Bedauern über die gestörte Einsamkeit zurück und zog den Pater unter herzlichen Worten ins Haus. Er führte ihn in den Hof und ging, Wein und Wasser aus dem Keller heraufzuholen, die Veronika dort sorglich kühl gestellt hatte. »Ihr müßt schon mit meiner Bewirtung vorliebnehmen, wenn Ihr mir helfen wollt, einen allzu stillen Nachmittag zu verbringen.«
So sehr war er bemüht, durch eifrig bekundete Gastfreundschaft ein Zögern, einen Schatten von Unmut vergessen zu lassen, den der Besucher vielleicht bemerkt haben konnte, daß ihn die eigene Beobachtungsgabe im Stich ließ. Sonst wäre ihm wohl im Benehmen des Paters eine Befangenheit aufgefallen, ein mehr als gewöhnlicher Ernst. Immerhin fand er ihn, als sie sich endlich beim Becher gegenüber saßen, bleicher als sonst und bemerkte: »Ihr reibt Euch auf in Eurem Amt, Pater Friedrich, und das um ein Nichts, um den Aufwand für ein Verbrechen, das es gar nicht gibt. Was gewinnen Eure Schützlinge, wenn Ihr Euch krank macht!«
Der Pater kehrte aus einer Geistesabwesenheit zurück. Krank? Dann wäre es keine Krankheit des Leibes. »Ich wäre ein gesunder Mann, wüßte ich…« Wieder sank er in sein Grübeln zurück.
Sebastian sah ihn forschend an. »Was ist Euch begegnet? So sah ich Euch noch nie.«
Pater Friedrich wandte ihm ein gequältes Gesicht zu. »Doktor, woher nehmt Ihr Eure Gewißheit? Ich meine den Glauben, daß es keine gibt.« Er nannte das Wort nicht, das jeder gern vermied. Sie waren dem peinlichen Thema seit ihrem ersten Gespräch immer aus dem Weg gegangen, gewiß, daß keiner von ihnen des andern Meinung ganz teilen könne, soviel ihnen sonst gemeinsam war. Sebastian wunderte sich. Warum jetzt so plötzlich diese direkte Frage?
»Soll das eine Falle sein, Pater Friedrich?«
»Nein, nein! Was denkt Ihr von mir? Ich möchte es wirklich wissen. Ich wünschte mir etwas von Euren Erkenntnissen, Eurer Sicherheit.«
»Ihr zweifelt also?«
»Nein, nein – doch, ja! Sagt mir, wie Ihr zu dieser Gewißheit kamt, ich bitt’ Euch! Ich will’s bewahren, wie unter der Beichte gesagt.«
»Warum so feierlich, Pater? ‘s ist kein Geheimnis darum. Ich bin nur anders aufgewachsen als Ihr. Mein Vater war Apotheker und hat mich früh angeleitet, über die Kräfte der Natur nachzudenken, Pflanzen und Minerale zu kennen und ihre Wirkung auf den Körper. So habe ich anderes gelernt und eine andere Anschauung von den Dingen gewonnen als Ihr in Eurem Orden.«
Er schob ihm das Mikroskop hin und bedeutete ihm, hineinzublicken. Dem Pater war das Instrument nicht fremd. Durch Abbildungen und Beschreibung war die berühmte neue Erfindung den Gebildeten schon bekannt. Aber hineingeschaut hatte er noch nie. Er stieß einen Laut der Verwunderung aus: »Ein geflügeltes Tierlein – ein kleiner Drache – ach, nein, nur eine Biene! Wahrhaftig, ein kleines Gotteswunder, sichtbar gemacht durch das menschliche Ingenium!«
»Warum nun wieder ein Wunder? Ein Werk Gottes ist es, ja, und die Welt ist voll davon. Zahllos sind sie, ein unscheinbares Gewimmel. Aber der menschliche Geist weiß sich kein höheres Ziel, als sie alle zu erforschen und die Gesetze, nach denen sie leben und vergehen.«
»Das Vergängliche zu erforschen, das wäre Euer höchstes Ziel?«
»Warum nicht? Es ist Gottes Werk genauso gut wie die unsterbliche Seele, von der Ihr, gebt’s nur offen zu, ebenso viel oder noch weniger wißt als ich von der vergänglichen Welt. Den größten Geistern unserer Zeit, dem Kepler, dem Galilei,
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