Hexen in der Stadt
und stellt sich dem Gericht. Nach altem Brauch will sie sich durch die Folter vom Verdacht reinigen, das unwissende Kind! Da wirft sich ein junger Student der Rechte zu ihrem Beschützer auf, erklärt, man könne die Wiederherstellung des alten Rechts nicht einem schwachen Mädchen allein überlassen, und bietet sich zur gleichen Probe an. Durch eine höchst rechtskundige, aber unkluge Verteidigung der Verhafteten hatte er sich von Anfang an verdächtig gemacht. Fragt mich nicht, wie das Wagnis ausgegangen ist! Die beiden waren auch nicht stärker als andere.
Ich könnte Euch mehr berichten von der Jugend in dieser Stadt, die sich vom Tode so umstellt weiß, daß sie ihn nicht mehr fürchtet, unbekümmert Feste feiert und tanzt. Schon sind viele von ihnen den Weg der verrufenen alten Weiber gegangen, und nach dem Verfahren, das ich oben beschrieb, werden sie andere nachziehen, vielleicht alle. Sogar Kinder liegen schon im Gefängnis, unwissend wessen man sie beschuldigt. Nun, man wird es ihnen schon beibringen. Der Domvikar Schwerdt, der erste Priester, der in den Teufelskreis gezogen worden ist, wenn auch gewiß nicht der letzte, hat mir in seiner Sterbestunde seine Schuldlosigkeit versichert, in einer Weise, die ich nicht in Zweifel ziehen kann. Ich könnte Euch noch mehr Beispiele zählen. Aber ich will Euer gütiges Herz schonen und vertraue, daß Ihr, auch ohne mehr und Näheres zu erfahren, erkennen werdet, daß ich die Wahrheit sage.
Auf eine Frage vor allem habe ich noch keine Antwort gefunden: Wie kann einer, der wirklich unschuldig ist, sich vor diesem Gericht reinigen und einen Freispruch erlangen? Auch der gelehrteste Richter und der frömmste Priester haben mir das bisher nicht sagen können. Ich fange an, zu fürchten, daß es überhaupt nicht möglich ist. Was aber tue dann ich bei einem solchen Werk?
Ich kann unter Eid bezeugen, daß ich bis jetzt noch keine verurteilte Hexe zum Scheiterhaufen geleitet habe, von der ich mit Überzeugung hätte sagen können, sie sei wirklich schuldig gewesen. Dasselbe habe ich noch von zwei andern gewissenhaften Priestern gehört und habe es doch wahrlich nicht an Fleiß fehlen lassen, zur Wahrheit zu gelangen.
Verzeiht Ihr mir nun, mein Vater, wenn ich Euch sagen mußte, daß Ihr irrt und nicht wißt, wie es hier zugeht?
Was den Arzt betrifft, vor dessen Umgang Ihr mich warnt, so gilt von ihm das gleiche. Meine unvollkommene Schilderung unserer ersten Begegnung mag Euch nicht das rechte Bild gegeben haben. Trotz seiner oft gewagten Reden ist mir dieser Mann in den vergangenen Monaten fast ein Freund geworden, dessen gelassenes Urteil über die menschlichen Dinge mir oft geholfen hat. Gespräche über Glaubensfragen habe ich vermeiden gelernt. Seinen Handlungen nach kann ich ihn nur einen wahren Christen nennen, ebenso seine Frau, die viel Gutes tut und eine glückliche Hand für Kranke hat. Sogar in der Pestzeit soll sie ihm geholfen haben, was manchen Leuten Anlaß zu törichter Nachrede gegeben hat. Aber davon halte ich nichts. Mir hebt es das Herz, die beiden bei ihrer Arbeit zu sehen. Es ist, als kennten sie keine Furcht, nicht vor irgendeiner Ansteckung und nicht vor übelwollenden Menschen. Daß diese Zuversicht ihnen niemals enttäuscht werden möge, ist mein tägliches Gebet für die mir so teuren Menschen.
Ihr werdet, mein Freund und Vater, diesen Brief nicht ohne einiges Befremden lesen. Vertraut aber darauf, daß ich mich nicht leichtfertig in Zweifel verliere, sondern allein gezwungen durch die grausame Wirklichkeit der Dinge, wie sie in Wahrheit sind. Ich fange an zu begreifen, daß es ein großes Unrecht abzuwenden gilt. Betet mit mir, daß es gelingen möge, und entzieht nicht Eure Freundschaft
Eurem demütigen Pater Friedrich
Menschenleer lagen die Gassen im Glast des Sonntagnachmittags. Nur die Glockenschläge fielen überlaut in die Stille. Sonst schien die Stadt von allem Leben verlassen. Keine plaudernden Gruppen vor den Haustüren, keine Tänze und Lieder der Jugend an den Brunnen oder auf den freien Plätzen. Nicht einmal den Kindern war draußen zu spielen erlaubt. Die Angst hielt jedermann mit den Seinen in den eigenen vier Wänden, nicht anders als es in der Pestzeit gewesen war.
Sebastian saß in dem Höfchen hinter seinem Hause am Tisch unter dem alten Birnbaum und genoß die tiefe Ruhe, während er sich zwang, über ihre Ursache nicht nachzudenken. Er war allein zu Hause. Veronika und die Töchter waren von Jakobe in ihren
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