Hexen in der Stadt
heiteren Selbst.
Aber Gewalt anzuwenden war nicht nötig. Sie ließ sich willig die Treppe hinaufführen, wie in der Nacht zuvor, ließ sich auf die Kissen betten und schluckte jetzt gehorsam die dargebotene Arznei. Wenn sie nur einschläft, dachte er, ist alles gut. Sie wird gesund aufwachen und wie sonst sein. Als er aber ihr Gesicht betrachtete, begann er zu ahnen, daß diese Hoffnung trog. Ja, sie würde einschlafen, das Mittel, das er ihr gegeben hatte, war stark genug. Aber wenn sie erwachte, würde nichts anders sein als jetzt. Ihr Geist war nicht verwirrt. Vielmehr galt es, einer erbarmungslosen, lange verheimlichten Wahrheit ins Auge zu sehen. Sebastian zog sich einen Stuhl neben das Bett und setzte sich, um auf das Erwachen seiner Frau zu warten.
Unter der brennenden Mittagssonne stiegen indessen die beiden Mädchen, eine kleine Stunde von der Stadt entfernt, auf steilen Weinbergpfaden bergan. Sie hatten die belebte Uferstraße gemieden, wo sie erkannt und leicht verfolgt werden konnten, und sich über Feldwege und Wiesensteige, abseits der Dörfer, bis an den Fuß eines langen, mit Weinbergen bedeckten Hanges herangepirscht. Über ihm, in dichtem Wald verborgen, zog sich die Landesgrenze hin. Der Vater hatte das einmal auf einem Spaziergang gesagt, mehr wußten sie nicht, aber auf dies Wissen bauten sie ihre Hoffnung.
Bisher war alles gutgegangen. Sie waren kaum Menschen begegnet, jetzt zuletzt noch zwei Bauern, die auf den Uferwiesen beim Heumachen waren. Denen hatten sie lachend zugewinkt, ehe sie in den Weg durch die Weinberge eingebogen waren. Noch eine gute Stunde Anstieg lag vor ihnen. Was sollte ihnen da noch zustoßen!
Sie ahnten nicht, daß die beiden Bauern, Vater und Sohn, ihnen nachblickten, die Hände über den Augen. »Zwei aus der Stadt sind’s«, brummte der Vater. »Sieh nur, wie sie die langen Röcke aufschürzen müssen! Was wollen die in den Weinbergen?«
»Ist doch klar, Vater«, erwiderte der Sohn. »Auch in diesem Jahr wird wieder der Wein verderbt werden. Es soll mich nicht wundern, wenn’s heut noch ein Unwetter gibt.«
»Zusammenschlagen hätt’ man die müssen!« knurrte der Vater.
»Das rat’ ich nicht, Vater. Könnt dir leicht die Hand verdorren oder sonst ein Unheil uns treffen. Aber zur Stadt renn’ ich, sag’ beim Gericht Bescheid. Wenn die zwei solche Weiber auf frischer Tat ertappen können, dann kommen sie gerannt. Vielleicht kann auch das böse Werk noch gehindert werden, die haben ja ihre Pfaffen und Teufelsaustreiber bei der Hand.«
»Tu das, Bub. Ich pass’ derweil auf, wo sie bleiben«, sagte der alte Bauer, setzte sich auf den Rain und fuhr fort, den Hang zu beobachten, wo die hellen Kleider zwischen den Weinstöcken immer wieder auftauchten und verschwanden. Klettert nur wacker! dachte er böse. Ihr kommt nicht davon.
Der Bursche wußte einen kürzeren Weg als die beiden Mädchen und war schneller zu Fuß. Schon eine halbe Stunde später war er am Stadttor. Dort stand ein Trupp Stadtknechte und blickte mißmutig in den flimmernden Mittag über dem Tal. Das Tor, durch das die Doktorstöchter am frühen Morgen hinausgewandert waren, hatten sie bald ausfindig gemacht. Natürlich war es nicht das Zeller Tor gewesen. Aber wie nun weiter? Gärten gab es hier nur wenige, und bei der Hitze da draußen in den Wiesen zu suchen, ohne zu wissen wo? Das lockte wenig.
»Laßt die armen Dinger laufen!« meinte einer, und keiner widersprach. »Kommt doch auf eine mehr oder weniger nicht an, und sind sie welche, holt sie doch einmal der Teufel, hier oder anderswo.«
Da kam atemlos der Bursche gelaufen: »Ich hab’ zwei Hexen gesehen in den Weinbergen. Ihr könnt sie gerade bei ihrem Werk erwischen, wenn ihr schnell macht.«
»Ja? Wo, wo?« Hitze und Nachsicht waren vergessen, dafür der Jagdeifer der Meute erwacht. Den Bauernburschen voran, machten sich vier Knechte unter Führung des Büttels alsbald auf den Weg, nicht eben eilig, dazu war es zu heiß, aber stetig, schweren, unaufhaltsamen Schrittes den Weinbergen zu. Bald gesellten sich zu ihnen ein paar Männer mit Knüppeln und Dreschflegeln, die der alte Bauer aus seinem Dorf herbeigerufen hatte, zur willkommenen Hatz. Gegen Hexen kann man nie stark genug bewaffnet, nie zu zahlreich sein, meinten sie. Auch ein paar Krüge mit Most und Branntwein hatten sie mitgebracht. Am Fuß des langen Hanges hielten sie erst einmal Rast nach dem Marsch und tranken sich Mut an.
Oben im Weinberg rasteten arglos
Weitere Kostenlose Bücher