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Hexen in der Stadt

Hexen in der Stadt

Titel: Hexen in der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Engelhardt
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die beiden Mädchen. Sie waren rasch bergan gestiegen, ohne auf die Hitze zu achten, die ihre Schläfen hämmern und ihren Schweiß strömen ließ. Katrin war immer mehr zurückgeblieben. Als sie endlich die Schwester erreichte, die auf einem schmalen Grasrain kauernd auf sie wartete, keuchte sie, sie könne nicht weiter. Sabine sah sie an. Das schöne Engelsgesicht glühte wie im Fieber, und war es nur Schweiß, was darüber rann?
    »Du weinst ja, Katrin!« rief die Kleine verwundert und dann, überströmend vor Mitleid: »Katrin, Katrinele! Hast du denn solche Angst?«
    Die Ältere schüttelte heftig den Kopf. Sprechen konnte sie nicht vor Atemnot und unterdrücktem Schluchzen. Sie warf sich ins Gras, das Gesicht in den Armen, und wand sich wie in großen Schmerzen. Sabine legte ihr die Hand auf die Schulter und versuchte zu trösten: »Ruh dich ein bißchen aus! Bald wird es kühler, und wir haben es leichter. Sieh nur, der Wald ist nicht mehr weit!«
    Ging von der Berührung dieser Hand Ruhe aus? Katrin schluchzte leiser, hörte auf, schlief vielleicht sogar einen Augenblick. Dann, unvermutet rasch erholt, setzte sie sich auf, wischte das Gesicht mit der Schürze ab und sagte: »Wir hätten das nicht tun dürfen, nicht fortgehen. Nun werden sie die Eltern dafür bestrafen. Wir müssen umkehren.«
    »Das können wir nicht mehr, Katrin. Wer wegzulaufen versucht hat, ist doppelt verdächtig und wird gleich verhaftet. Jetzt müssen wir weiter, ob wir wollen oder nicht.«
    »Ich will aber nicht. Laß mich umkehren!«
    »Katrin, du bist von Sinnen. Du wirst keinem nützen und nur den Eltern Kummer machen. Komm doch mit 1 Wir haben es ja fast geschafft.« Nun flossen die Tränen auf beiden Seiten. Sabine, fest entschlossen, verzweifelte bei dem Gedanken daran, die Schwester zurückzulassen zu einem gräßlichen Schicksal.
    Plötzlich aber hörte sie auf zu weinen und erstarrte im Lauschen. Sie hatte Stimmen gehört, noch weit, tief unter ihnen am Hang, Männerstimmen und das Rollen von Steinen unter plumpen Füßen. »Da oben müssen sie stecken!« klang es deutlich herauf. »Sie kommen!« flüsterte Sabine, rasch begreifend. Diese Bauern mußten sie verraten haben.
    Sie sprang auf und zog die Schwester mit sich zwischen die Weinstöcke hinein, abseits vom Pfad. Dort, etwas zur Linken, winkten die Eichenwipfel ganz nah über dem lichteren Rebenlaub. Im Wald würden sie gerettet sein, der Gedanke gab ihr auch jetzt Flügel. Lautlos und flink huschte sie zwischen den Rebstöcken dahin und hielt nur manchmal an, um Katrin nachkommen zu lassen. Die folgte ihr so schnell sie nur konnte, ohne mehr einen Gedanken an Umkehr. Die Stimmen der Verfolger, die immer näher klangen, ließen sie davor schaudern, in ihre Hände zu fallen.
    Dann blieb Sabine plötzlich stehen, vielmehr kauern zwischen dem Weinlaub. Katrin holte sie ein und sah über ihre Schulter hinweg, was sie aufhielt. Vor ihren Füßen klaffte eine Schlucht, ein ehemaliger Steinbruch, von Ginsterbüschen und jungem Baumwuchs ausgefüllt. Jenseits winkte der rettende Wald – unerreichbar.
    Wirklich unerreichbar? Sabine spähte umher. Da hing, etwas seitwärts, ein wilder Kirschbaum, vom Sturm umgelegt, quer über die Schlucht. Diesseits hielten ihn noch ein paar Wurzeln am bröckelnden Rand fest, jenseits lag die Krone im Buschwerk verfangen. Eine gebrechliche Brücke in die Freiheit! Sabine streifte die Schuhe ab, schürzte die Röcke bis zum Knie, betrat den Stamm und wippte ein wenig. Er trug sie! Sie tat noch einen Schritt und streckte der Katrin die Hand entgegen. »Komm rasch! Tu wie ich!«
    Die schauderte zurück. Aber die Angst vor den Stimmen war stärker. Sie riß sich die Schuhe von den Füßen, raffte den Rock und packte die Hand der Schwester mit fest geschlossenen Augen.
    Noch auf ihrem armseligen Sterbebett, wenige Jahre später, sollte die Katharina Reutterin bekennen, ihre Schwester Sabine habe sie damals im Flug über einen Abgrund getragen, was sie als die größte Sünde ihres kurzen Lebens bereute. Es war aber kein Flug gewesen, nur zwei Sprungschritte und ein Schwung, wie ihn die Todesangst auch zwei so ungeschickte Städterinnen in ihren schweren Röcken lehren kann. Sabine riß die Schwester mit hinüber. Sie stürzten in brechendes Geäst, krochen blutigzerschrammt und mit zerrissenen Kleidern weiter, bis sie sicher versteckt im Unterholz hockten. Hinter ihnen polterte der Stamm, durch die Erschütterung aus seinem letzten Halt gelöst, in

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