Hexen in der Stadt
gewesen, Sebastian, bis gestern abend. Nicht spotten! Von meiner Mutter hab’ ich die Gabe geerbt und sie von der ihren. Immer ist’s die Jüngste von drei Töchtern, auf die es übergeht. Wo nicht drei Töchter sind, kann’s auch eine sein, die an einem Freitag bei Neumond geboren ist – oder einer. Auch wer einer sterbenden Hexe die Hand gibt, übernimmt die Gabe von ihr.«
Sebastian schüttelte fassungslos den Kopf, indessen sie mit einer Ruhe, die ihn schrecklich dünkte, fortfuhr: »Ich war daheim die Jüngste von dreien, wie unsere Sabine.«
»Sabine! Hast du der das auch eingeredet?«
»Da war nichts einzureden. Sie hat die Gabe und weiß es, ist von selbst daraufgekommen, wie auch ich einmal. Nur hatte ich es leichter. Mich nahm die Mutter in die Schule. Sie lehrte mich, die Gabe zum Guten anzuwenden, Kräuter zu kennen, Tränke zu brauen, auch die Kräfte der Seele zu gebrauchen, Entfernte herbeizuziehen, Schmerzen zu stillen, Schlaf zu spenden – aber auch den Tod.
»Hör auf! Es fehlt nur noch, daß du mir weismachst, du hättest mir ins Handwerk gepfuscht, wenn du vorgabst, mir zu helfen.«
»Das hab’ ich auch, Sebastian, aber nur dir zuliebe und zunutzen. Die Tränke, die ich für deine Kranken braute, hast du immer gelobt. Nie hast du dich gewundert, daß sie ruhig wurden und die Schmerzen weniger spürten, wenn ich ihnen die Hand auflegte. Weißt du noch den Brauknecht, der in den Kessel gestürzt war und Tag und Nacht schrie vor Schmerzen, und keiner konnte ihm helfen? Der schlief dann plötzlich ganz sanft ein, unter meiner Hand, aber du ahntest nichts.«
»Das hast du gewagt?« Er starrte sie voll Grauen an wie ein fremdes Geschöpf. »Du hast mich teuflisch verhöhnt, mich und meine Kunst, hinter meinem Rücken.«
»Es erfuhr ja niemand. Ich wollte dir helfen, und ich vermochte es. Das war mir genug.«
»Solche Hilfe braucht’ ich nicht und wollte ich nicht, hätte sie nie gewollt und dir verboten, wenn ich’s geahnt hätte. Du hast mein Vertrauen getäuscht.«
Der Vorwurf traf. Darauf gab es keine Antwort, nur eine demütige Bitte um Verzeihung, wenn Sebastian sie gewähren konnte. Ach, mit jedem Wort, das gesagt wurde, schwand diese Hoffnung mehr!
»Nun gut!« sagte er endlich voll Bitterkeit nach einer tödlichen Stille. »Ich muß mich wohl damit abfinden, daß ich mein ganzes Vertrauen einer geschenkt habe, die zwar so abergläubisch ist wie das dümmste Bauernweib, aber doch schlau genug gewesen ist, mich jahrelang etwas anderes glauben zu machen.«
Das war sein Urteil über sie. Es wurde nicht gemildert dadurch, daß er ihr nicht glaubte. Der Wahn war es, den er ihr nicht verzieh.
»Aber sage mir doch, du große Zauberin«, fuhr er spottend fort, »wie kamst du denn damals in die Lage, aus der ich dich befreien mußte mit meinen geringen Gaben?«
Sie spürte den Hohn. Aber wenn er überhaupt noch fragte und sie antworten konnte, war immer noch Hoffnung. Sie erwiderte: »Allmächtig sind wir nicht, wenn auch mächtig über vieles. Die Mutter wurde krank. Sie sah, daß keins ihrer Mittel mehr half, und wußte, daß sie sterben mußte. Der Physikus aus der Stadt wollte es freilich besser wissen und plagte sie mit teuren Mitteln gegen die Würmer, die, wie er sagte, ihr Inneres aufzehrten. Damals riß unsere oberste Magd die Herrschaft im Hause an sich. Über den Vater herrschte sie längst. Sie konnte den Tod der Mutter nicht abwarten und hatte sie schon seit langem im Dorf als Hexe verleumdet, daß niemand mehr ihre Hilfe annehmen wollte. Sie brachte es auch fertig, daß keine der Mägde die Mutter in ihrer Krankheit pflegen mochte. Ohne meinen kleinen Bruder und mich wäre sie im eigenen Haus elend verschmachtet. Denn sogar der Vater wagte nichts gegen das Weib. Mich haßte sie auch und gedachte, mich zugleich mit der Mutter loszuwerden, wie du’s ja erlebt hast. Sie wollte den Vater heiraten, und da war nur ich im Wege. Denn meinen Schwestern und ihren hochmütigen Männern wär’s einerlei gewesen. Die hielten allesamt nicht viel vom Vater. Mein kleiner Bruder zählte nicht, der sollte doch bald zum Heer. Da blieb nur ich, und beinah hätte sie’s ja auch geschafft.«
»Und du konntest dich nicht wehren, du, mit all deiner Macht?«
»Nein, denn ich hatte der Mutter versprechen müssen, die Gabe niemals im Bösen, nie zum Schaden eines Menschen anzuwenden. Sonst wäre ich wirklich eine Hexe geworden. Auch wußte das Weib etwas von mir, das niemand sonst wußte, und
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