Hexen in der Stadt
nutzte das aus.«
»Meinst du – das Kind?«
»Ja, das Kind. Du hörtest ja, wie sie vor den Leuten ausschrie, es sei ein Teufelsbalg.«
»Fast möchte ich es selbst glauben«, spottete Sebastian rauh. »Du hast mir nie gesagt, wie du dazu gekommen bist.«
»Sebastian!« Zum erstenmal begehrte sie auf. Er sah ein feines Rot des Zorns und der Scham in ihr Gesicht steigen. Sie brauchte einen Augenblick, ehe sie weiterreden konnte: »Du hast mich nie gefragt und wußtest doch von Anfang an Bescheid. Du hast Jakobe bei ihrer Geburt hingenommen wie deine eigene Tochter. Sollte ich davon anfangen und dir aufdrängen, was du gar nicht wissen wolltest?«
»Jetzt – heute möchte ich es wohl wissen«, sagte Sebastian, »da wir schon einmal dabei sind, die Wahrheit zu sagen.«
Veronika erwiderte leise: »Ich schämte mich. Es war eine Torheit gewesen, ein dummer Streich, zu dem ich meine Gabe mißbrauchte.
Wir hatten oft Gäste im Haus zur Jagd und zur Weinlese. Einmal war ein Junker dabei, ein Neffe des Bischofs, kaum älter als ich, aber weitgereist, keck, ein junger Weltmann, wie es mir schien. Er machte mir ein wenig den Hof. Da reizte es mich, an ihm meine Macht zu erproben, zu sehen, wie weit ich ihn mir gefügig machen konnte. Ein paar Tage lang war das ein spannendes Spiel. Dann aber, eines Nachts, ging es weiter, als ich gewollt hatte, und so kam es.«
»Aber der Junker? Du warst doch schließlich ein adeliges Fräulein. Er hätte dafür einstehen müssen, besonders als Neffe des Bischofs.«
»Oh, er hatte Glück. Am Morgen danach kam die Nachricht, daß er zum Domherrn bestimmt war anstelle seines älteren Bruders. Das bedeutete, bei der hohen Verwandtschaft, eine glänzende Zukunft für ihn. Alle sprachen darüber. Von da an hatte er keinen Blick mehr für mich, nicht einmal beim Abschied. Nun, ich verschmerzte es und hätte ihn bald genug vergessen – ohne das Kind. Warum sollte ich dir das alles erzählen? Ich schämte mich nur noch.«
»Und wer war er?«
Sie blickte ihren Mann groß an, voll Verwunderung, daß er noch fragte. Da begriff er endlich und preßte die Lippen zusammen. Das also war das ganze Geheimnis um den zauberischen Einfluß auf Seine Fürstlichen Gnaden. Am Ende ließ sich alles so erklären.
Es war dunkel geworden. Er suchte nach dem Feuerstahl, schlug Funken und zündete die beiden Kerzen an, die in Zinnleuchtern auf dem Kleiderkasten standen, weniger weil ihn nach Licht verlangte, als um Zeit zu gewinnen. Nach einer Weile, während der er vieles in sich bezwungen hatte, sagte er kalt: »Du hast mir da viel Unsinn erzählt, nichts, was sich nicht auf natürliche Weise erklären ließe. Was übrigbleibt, ist Altweibergewäsch, der gleiche Wahnsinn, gegen den ich mein Leben lang gekämpft habe – allein, wie ich jetzt weiß. Damit muß ich fertig werden. Es ist schon besseren Männern so gegangen. Ich könnte es vergessen. Wenn aber den Kindern etwas zustößt – du hast sie hineingerissen, du bist schuld, daß sie hiergeblieben sind, in der Gefahr –, das könnte ich dir nie verzeihen.« Das Letzte sagte er leise und stockend, es fiel ihm schwer, aber er konnte nicht anders.
Sie senkte den Kopf. Was sollte sie antworten? Er hatte ja recht. Sie selbst verzieh es sich nicht. Wenn es so kommt, dachte sie, dann gibt es nur noch eins für mich, aber auch das wird ihn nicht versöhnen. Dann hab’ ich sie alle drei verloren. Stumm standen sie voreinander in dem flackernden Halblicht, das die Kerzen verbreiteten. Es gab kein Wort mehr zu sagen, das den andern erreicht hätte.
Da läutete die Hausglocke. Beide zuckten zusammen und suchten einander mit dem gleichen Blick. Wieder war es wie so oft in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren: die Gefahr draußen, der immer gleiche Feind, und hier drinnen sie beide, allein, untrennbar aufeinander angewiesen. Aber diesmal umschlangen sie sich nicht. Nur die Hände packten einander, fast ohne ihren Willen. Es läutete noch einmal.
»Du bleibst hier«, flüsterte Sebastian, »und kommst nicht herunter, ehe ich dich rufe!« Sie nickte gehorsam und ahnte, es war das letzte Mal, daß er sie so zu schützen versuchte, vielleicht mehr eine gewohnte Geste als sein Wille.
Sie lauschte oben an der Treppe, hörte ihn hinuntergehen, die Tür entriegeln und öffnen, eine fremde Männerstimme und ein leises Gemurmel im Flur. Dann ging die Tür zur Studierstube und nichts war mehr zu hören. Gleich darauf kam Sebastian die Treppe herauf, rascher als
Weitere Kostenlose Bücher