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Hexen in der Stadt

Hexen in der Stadt

Titel: Hexen in der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Engelhardt
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sonst. Atemlos blickte sie ihm entgegen. War es Nachricht von den Töchtern? Konnte sie anders sein als schlimm?
    Er zog sie ins Zimmer, nahe an die Kerzen, und hielt ihr etwas unter die Augen, einen Schuh. »Kennst du den?«
    Sie unterdrückte einen Schrei. »Der Katrin ihrer!«
    »Weißt du das genau?«
    »Ja, ja! Laß sehen! – Ja, ich kaufte sie ihr damals zu der Taufe bei Jakobe. Was…?« Sie wagte nicht weiter zu fragen.
    Er atmete tief auf. »Es scheint, daß sie es geschafft haben und entkommen sind. Pater Friedrich brachte die Nachricht. Komm herunter und hör ihn an!«
     
     
    Pater Friedrich an Pater Tannhofer:
    den 9. September 1628
    Mein verehrter Freund!
    Dies wird wohl für lange Zeit der letzte Brief sein, den Ihr von mir erhaltet, vielleicht der letzte aus dieser Stadt. Denn heute morgen habe ich den Rektor Pater Sandemann gebeten, mich aus der Pflicht zu entlassen, weiterhin mitzuwirken an dem schreienden Unrecht, das an dieser Stadt geschieht. Ja, dazu habe ich mich durchgerungen und es gerade so ausgesprochen, wie ich es hier niederschreibe. Der Rektor schien eher erschrocken als zornig, hat mich, da Zureden nichts half, in die Krankenstube verbannt und Hausarrest verhängt, bis er über mich berichtet hätte und Weiteres beschlossen sei. Doch erhielt ich noch einmal die Erlaubnis, Euch zu schreiben, vielleicht weil man sich von einem solchen Brief eine gute Wirkung erhofft auf meine Anfechtung, wie sie es nennen. Ich zweifle nicht daran, daß mir diese Freiheit bei Ergreifung strengerer Maßnahmen entzogen werden wird, und so will ich diese letzte Gelegenheit nützen. Denn vor allem andern liegt mir daran, daß Ihr meinen Entschluß versteht.
    Von meinen wachsenden Zweifeln an dem hier geübten Verfahren gegen die Hexen habe ich Euch des öfteren berichtet. Ihr werdet nicht verfehlt haben, zu erkennen, daß diese ein Maß erreicht haben, das die Erfüllung meiner Pflichten, wie sie von mir erwartet werden, ernstlich in Frage stellt. Schon länger rang ich mit mir, auf welche Weise ich den unerträglichen Zwiespalt lösen könnte, ohne peinliches Aufsehen zu erregen. Da zwang mich gestern ein Ereignis, das mein innerstes Gefühl ergriff, zur Entscheidung.
    Es handelt sich um den öfter erwähnten Arzt und die Seinen. Ich wußte, daß die Töchter denunziert worden waren. Nach reiflicher Überlegung gewann ich die Einsicht, daß es nicht unvereinbar mit meinen Pflichten wäre, dem Vater eine Warnung zukommen zu lassen. Wider schlimmere Erfahrung hoffte ich, es könnte seinem Ansehen und seiner Klugheit gelingen, die Seinen vor der drohenden Anklage zu retten. Ich ahnte nicht, wie nahe ihnen das Unglück schon war.
    Als ich gestern nachmittag aus dem Gefängnis in den Kanzleihof hinaustrat, kam gerade der Büttel mit ein paar Stadtknechten daher. Der eine trug auf seiner Hellebarde einen Frauenschuh aus rotem Leder aufgespießt, und viele Neugierige liefen mit und zeigten auf den Schuh und fragten. Auch ich fragte, und der Büttel selbst, ein polternder, doch leidlich redlicher Knebelbart, gab mir Auskunft.
    Sie hatten also die Doktorstöchter, die vor der Verhaftung geflohen waren, draußen in den Weinbergen aufgespürt und am Rande eines Steinbruchs so umstellt, daß sie nach menschlichem Ermessen nicht mehr entkommen konnten. Da hat »ein anderer« eingegriffen. Die Männer hörten einen Schrei und ein undeutbares Geräusch und fanden dann am Rand des Steinbruchs nur noch diesen Schuh, aber weit und breit keinen Menschen. Dafür sei aber ein durchdringender Gestank nach Pech und Schwefel zu spüren gewesen, womit wohl erwiesen sei, wer sich da eingemischt habe.
    Nun, ich dachte mir mein Teil bei dieser Geschichte. In der Kanzlei erreichte ich, daß mir der Schuh ausgehändigt wurde, damit ich die Eltern fragen könne, ob er überhaupt einer der Töchter gehöre. Man gab meiner Vorhaltung Gehör, mir diese Frage zu überlassen, um den verdienten und hochgeachteten Doktor zu schonen. Zuvor aber tat ich noch einen andern Gang, der mir ebenso notwendig schien.
    Ich ließ mir vom Büttel den Weg beschreiben und wanderte hinaus zu dem Steinbruch, wo die seltsame Entrückung geschehen sein sollte. Dort stieg ich die enge Schlucht hinauf, in die der Steinbruch bergwärts ausläuft, und sah nach, ob eine der Gejagten vielleicht hineingestürzt sei und tot oder verletzt da unten läge. Denn das zu prüfen, so viel hatte ich erfragt, war von den Männern durchaus versäumt worden in ihrer blinden

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