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Hexen in der Stadt

Hexen in der Stadt

Titel: Hexen in der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Engelhardt
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Teufelsangst. Ich fand aber keinerlei Spuren eines solchen Sturzes. Nur ein Baum war offenbar erst kürzlich in die Schlucht gefallen und hatte Laub und Strauchwerk mitgerissen, das welkend herumhing. Ich stieg an der andern Seite hinauf, den Weinbergen gegenüber. Dort grenzt der Wald mit dichtem Buschwerk an den Felsenabsturz. Ich fand die Stelle, wo der Baum gelegen hatte, ehe er herabgefallen war, fand zerknicktes Buschwerk, Fäden von bunten Geweben. Tiefer im Wald, wo der Boden weich und feucht war, hatten sich die Spuren zierlicher Füße abgedrückt, beschuhte und unbeschuhte. Ich wußte genug und freute mich, daß ich den Eltern gute Nachricht bringen konnte – eine Hoffnung wenigstens.
    Es war spät geworden. Ich kam gerade noch rechtzeitig durch das Stadttor und erst bei Dunkelheit zum Hause des Doktors. Dort wurde mir die Freude, die Eltern aus beklemmender Angst zu befreien. Doch mußte ich dem Doktor recht geben, daß die Gefahr noch nicht vorüber sei. Gleich in der Frühe des nächsten Morgens wollte er aufbrechen, um dort im Walde jenseits des Steinbruchs und in den benachbarten Dörfern nach den Töchtern zu suchen und sie in Sicherheit zu bringen. »Ich gehe mit«, sagte die Frau. Aber das fand er zu gefährlich. Sie dürften nicht zusammen die Stadt verlassen. Doch auch sie müsse fort, in das Haus einer Muhme, eine Tagreise entfernt, wo sie das Weitere abwarten solle. Er sagte das in so ungewohntem Ton, daß ich zum erstenmal merkte, es mußte die beiden noch etwas anderes verstören als nur die Sorge um die Töchter. Sie widersprach ihm auch nicht, noch wiederholte sie ihre Bitte.
    Der Doktor bat mich dann, noch eine Weile bei der Frau zu bleiben, weil er fortmüsse, aber bald wiederzukommen hoffe. Ihr befahl er, seinen Mantelsack mit dem Nötigsten zu packen, auch für sich selbst ein handliches Bündel, so schwer sie es tragen könne. Sie gehorchte mit einer scheuen Demut, die auch ungewohnt war an ihr. Als sie hinausgegangen war, sagte er leise zu mir: »Laßt sie nicht allein! Und wenn – Leute kommen sollten, hindert sie zu sprechen! Ihr Geist ist verwirrt vor Schrecken. Sie hält sich selbst für eine Hexe.«
    Er ging, und ich kniete tief bekümmert in der Studierstube zu einem Gebet nieder, nicht nur für die Rettung der kühnen und liebreizenden Töchter, sondern auch für den Seelenfrieden der Eltern, der mir nicht weniger gefährdet schien. In den oberen Stuben hörte ich die Frau hin und her huschen, Schränke und Truhen öffnen und schließen – bis ich mit einem Male nichts mehr hörte. Da erst fiel mir ein, daß ich sie nicht hatte allein lassen sollen. Vielleicht brauchte sie noch andere Hilfe als die des Gebets.
    Ich stieg hinauf und fand sie in der Schlafstube über einen Mantelsack gebeugt, dessen Schnallen sie zu schließen versuchte. Sie kam damit nicht zurecht, und ich sah, daß Tränen auf ihre Hände fielen. Ich griff zu und nahm ihr die Arbeit ab.
    Dann wagte ich ein paar tröstende Worte darüber, daß Gott ihre Töchter schon weiterhin behüten werde, nachdem er sie auf so wunderbare Weise habe entkommen lassen. Sie erwiderte, das hoffe sie auch. Aber wie es auch ausgehe, ihren Mann habe sie für immer verloren. Der werde ihr niemals verzeihen.
    »Was denn, meine Tochter?«
    »Daß ich eine Hexe bin, vielmehr, daß ich es glaube.«
    Da hörte ich es aus ihrem eigenen Munde, und es klang so wenig nach einem verwirrten Geist, daß ich im Innersten erschrak. Was bedeutete das nun wieder? Der Doktor hatte mich fast überzeugt, daß der Glaube an Hexen ein äußerst fragwürdiger Wahn sei. Und nun wollte sie – gerade sie! – eine von denen sein, die ein guter Christ nicht gern nennt.
    Sie sah mein Erschrecken und versuchte ein Lachen, kläglich und rührend zugleich. »Nicht so, wie Ihr Euch eine denkt! Ich reite nicht auf Besen, hab’ den Teufel nie gesehen und meine Gabe niemals zum Schaden irgendeines Menschen angewendet. Aber was hilft sie mir? Was hab’ ich damit ausgerichtet, als daß ich Sebastian verloren habe!«
    Ich tröstete sie damit, daß ihr Mann sich ihr schon wieder zuwenden werde, wenn sie wirklich nichts Böses getan habe. Aber sie schüttelte zweifelnd den Kopf. Ihre Schuld liege anderswo. Dann bat sie mich, sie allein zu lassen, weil sie noch viel zu tun habe, sich auch umkleiden müsse für die Wanderung.
    Bald darauf kam der Doktor zurück. Sein Schwiegersohn, der Ratsherr zum Stere, habe ihm Geld geliehen auf das Haus, das ihm gehören sollte,

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