Hexen in der Stadt
wenn binnen Jahresfrist weder Sebastian noch seine Frau zurückkehrten. Er gab Veronika einen Beutel. »Damit reichst du lange Zeit. Morgen vor Tag brichst du auf zu den Weinberghütten. Ich gebe dir einen Brief an den Pfarrer mit, der soll dem Pächter Bescheid sagen. Pater Friedrich ist wohl so gut, dich durch das Pleicher Tor hinauszugeleiten.«
»Und du?« fragte sie leise.
»Ich suche erst einmal nach den Mädchen, und wenn ich sie gefunden habe, bringe ich sie zu dir. Dort in der Hütte seid ihr sicher.«
»Und du?« fragte sie wieder.
»Ich gehe dann, um endlich das zu tun, was ich seit Jahren versäumt habe: den Kampf gegen diesen verruchten Aberglauben aufzunehmen. Ich muß Bundesgenossen finden unter den Gelehrten, den Professoren an den Hochschulen. Noch hab’ ich ja da und dort Freunde von früher. Es muß gelingen, denn schlimmer kann es kaum werden.«
»Nimm mich mit!« bat sie leidenschaftlich.
Er schob ihre flehend erhobenen Hände beiseite und sagte gelassen, ohne Bitterkeit: »Du wärst wohl kaum eine Hilfe für mich. Dort auf dem Land bist du besser aufgehoben, und die Kinder werden dich brauchen. Tu, was ich gesagt habe!« Sie ließ die Hände sinken und bat nicht weiter.
Im Morgengrauen traten wir drei aus dem Haus. Der Doktor trennte sich alsbald von uns und schlug den Weg zu dem gleichen Tor ein, durch das seine Töchter vor kaum vierundzwanzig Stunden hinausgegangen waren. Erst als er sich abwandte, ahnte ich, bei einem letzten, flüchtigen Blick auf sein Gesicht, wie sehr auch er litt – was auch für ihn zerbrach mit diesem Abschied. Aber wer vermochte da zu trösten!
Noch blieb mir die schwere und doch so gern übernommene Pflicht, die Frau auf ihren Fluchtweg zu geleiten. Wir sprachen kaum ein Wort. Was gab es auch zu sagen? Ich wußte, daß ich sie nie wiedersehen würde, nie wiedersehen durfte. Auch wenn sie jemals in die Stadt zurückkehrte, würde ich anderswo sein. Und würde sie je zurückkehren? Mit dem Licht, das wir eben in dem verlassenen Haus gelöscht hatten, war der letzte Schimmer der Vernunft und Menschlichkeit in dieser verfluchten Stadt erloschen, so schien es mir.
Unter dem Stadttor nahmen wir Abschied, nur kurz, um die Wache nicht aufmerksam zu machen. Ich trug ihr Grüße auf an eine Kranke, die sie vorgeblich im nächsten Dorf besuchen wollte, und fragte fürsorglich, ob ihr das Bündel voll milder Gaben auch nicht zu schwer sein werde. Sie erwiderte kein Wort, nur ihre Augen sprachen. Dann ging sie, blickte sich nicht mehr um und verschwand in den Frühnebeln über den Wiesen.
Ich aber wußte nun, was ich zu tun hatte, ging heim ins Ordenshaus und teilte dem Rektor meinen Entschluß mit. Ich gestand, daß ich die Flucht verdächtiger Personen aus der Stadt begünstigt hätte und dies wieder tun werde, sooft ich die Gelegenheit hätte. Denn von nun an stände ich ganz auf Seiten der Verfolgten. Das, meine ich, ist das mindeste, was ich tun konnte, um mich solcher Freunde würdig zu erweisen. Die Folgen muß ich tragen. Sie werden, so hart sie sein mögen, doch erträglicher sein als für irgendeinen Laien, der das gleiche wagen würde.
Vergebt mir, mein Freund, und versteht Euren
Pater Friedrich
Aus der Chronik des Malefizschreibers:
Es hat das Unwesen also überhand genommen, trotz der harten Arbeit unseres Malefizgerichts, daß man vermeinen möchte, es verschlägt gar nichts, ob ihrer noch Hunderte und aber Hunderte der gebührenden Straf zugeführt werden. So mag das alte Weib wohl recht behalten, das letzlich im peinlichen Verhör ausgesagt hat: »Der Bischof läßt nit nach, bis er die halbe Stadt verbrennt hab. Es sei in dieser Stadt ein solch Geziefer, daß sie sich verwundere, wie Gott so gütig und barmherzig sein könnte, daß er nit strafe, nachdem man’s verdiene. Es seien die Vornehmsten als der Herr Domdechant selbst und andere Kapitularherren auch nichts nutz.« – Wenn das schon die Hexen selbst sagen!
Der vortrefflichste der Richter ist selbst der Macht des Teufels erlegen. Es hat sich der fürstbischöfliche Rat Doktor Johannes Dürr die Prozesse, mit welchen er tragenden Amtes befaßt gewesen, über die Maßen zu Gemüte gezogen und, nachdem sein Eheweib und seine Kinder bald nacheinander von dieser Welt abgefordert worden, sein Amt abgetreten, den Kapuzinerorden angenommen und seither ein exemplarisch Leben geführt. Daß bei allem Bereden dieser ungewöhnlichen Begebenheit der vorausgegangenen Richtung seiner eigenen
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