Hexen in der Stadt
hatte, sagte, sie sei eine Verwandte des Doktors, der den Weinberg geerbt hatte, durch den Krieg verwitwet, verarmt und heimatlos geworden wie so viele. Der Doktor hatte ihr Unterschlupf in der Hütte gewährt und den Pfarrer in einem Brief gebeten, sich ihrer anzunehmen. Daß diese Bitte von einem schweren Geldbeutel unterstützt gewesen war, verlautete nur gerüchteweise. Aber anders war es wohl nicht zu erklären, daß der Pächter des Weinbergs sich sogleich bereit fand, die Hütte instandzusetzen, Brennholz und den nötigsten Hausrat hinaufzuschaffen, ja, das wenige an Milch und Brot, dessen die Frau bedurfte, ihr täglich zu schicken. Der Pfarrer sprach freundlich über sie und ermahnte zum Mitleid mit ihrem schweren Schicksal. So hörten die Leute bald auf, sich über die neue Nachbarin zu wundern.
Sie lebte still für sich und suchte keine Bekanntschaft, kaum einmal ein Gespräch. Sie hatte im Dorf um Arbeit gebeten und spann für die Bauersfrauen um geringen Lohn, um Nahrungsmittel und einfachen Hausrat. Denn in der Hütte fehlte es immer noch an Notwendigem. Der Faden, den sie spann, war so glatt und fein, daß ihre Arbeit bald begehrt war. So sah man sie den Sommer über und bis in den Herbst hinein, wenn das Wetter es irgend erlaubte, und solange das Tageslicht anhielt, mit ihrem Spinnrad vor der Hütte sitzen. Von den flinken Händen fort blickte sie über Weinberge und Dächer hinaus in die Ebene, als warte sie auf irgend etwas oder auf jemanden. Aber niemand kam, niemand fragte je nach ihr.
Das Land ringsum unterstand nicht mehr Herrschaft und Gericht des Bischofs, sondern den mächtigen Grafen von Abenberg, die ihm von jeher aufsässig und auch in der Hexenfrage seine Gegner waren. Der jetzt regierende Graf hatte vor Jahren in einer kleinen Stadt, wo er die Gerichtsbarkeit mit dem Bischof teilte, einen Hexenbrand durch seinen Einspruch verhindert und seinen Standpunkt klug und mutig zu verteidigen gewußt: »Wann aus der Marter und erzwungenem Geständnis zuviel und Unrecht geschehen sollte, ich solches schwerlich vor Gottes Gericht verantworten könnte.« Natürlich glaubte auch er an Hexen, wie hätte er anders können! Aber er verabscheute das schreckliche Unmaß, das die Verfolgungen schon damals im benachbarten Bischofsland anzunehmen begannen, und mahnte seine Amtsleute zur Vernunft. So konnte, wer in sein Land flüchtete, sich vor Verfolgungen solcher Art einigermaßen sicher fühlen.
Dennoch war es gut für die Frau, daß der folgende Winter mild und ohne Wetterschäden verlief, daß der nächste Sommer zum erstenmal wieder eine gute Ernte brachte, und auch sonst kein allgemeines Unglück vorfiel. Sonst hätte sie wohl auch hier in Verruf und endlich in Verdacht kommen können. Denn die Zeiten waren überall voller Angst und Mißtrauen. Das gute Glück aber wollte es, daß ihr Frieden nicht gestört wurde.
Doch war sie nicht froh, sondern schwand immer mehr dahin. Als sie in der ersten Frühlingssonne wieder vor der Hütte zu sitzen begann, war sie gebeugt und grau geworden, ihr Gesicht verwelkt. Nur ihre Augen blickten immer noch wachsam vom Spinnrad auf in die Ferne, spähend und wartend.
Aus dem Gewissensbuch des Paters Friedrich:
Unschuldige sind ruhig und furchtlos, denn sie rechnen ja niemals damit, daß unvorsichtige , urteilslose Richter zu Gericht sitzen werden, die den Denunziationen verworfener Teufelsknechte mehr Glauben schenken als ihrer Sittenreinheit, die sie freispricht.
Ich weiß aber sehr viele ausgezeichnete, gewissenhafte Leute, die große Angst haben, manche so sehr, daß sie in andere Gegenden gezogen sind. Ich weiß noch andere, die mich deswegen um Rat gebeten haben – weiß von Leuten, die in eine benachbarte Stadt eilten, sich Rats zu holen und Beichte abzulegen, und als sie zurückkehrten, gerade deswegen festgenommen wurden, weil das ein Indiz sei, daß sie die Flucht ergriffen hätten und doch nicht hätten fliehen können, weil ihnen Gott zur Strafe die Sinne verwirrt hätte. Zu beweisen, daß es nicht so sei, wurde ihnen nicht erlaubt. Ich weiß, daß manche sich längst überlegt haben, was sie für Aussagen erfinden wollen, wenn sie gefangen und durch die Volter gezwungen würden, sich schuldig zu bekennen, damit ihre Lügen wahrscheinlich klängen, und es kurz abgemacht würde mit ihnen. Wohl weiß ich auch, wie vielen ich Auskunft in solchen Gewissensfragen gegeben habe, wie weit man, ohne eine Todsünde zu begehen, in der Tortur sich und
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