Hexenblut
womöglich aber auch einem ganz anderen Zweck dienten.
Ich trank einen Schluck Wein und sah mir noch einmal die Briefe an. Was hatte Sarah vor sich gesehen, als sie sie schrieb? Wo war sie? Was dachte sie? Würde sie sich noch einmal melden?
Plötzlich wurde ich durch eine Bewegung vor dem Fenster abgelenkt. Der Hinterhof bestand aus einer kleinen Betonfläche mit einer hohen Mauer an der rückwärtigen Seite, dahinter verlief eine Gasse. Von Katies Schlafzimmer im ersten Stock konnte ich über die Mauer hinwegschauen, und ich glaubte, in der Gasse eine Bewegung zu sehen.
»Hast du das auch gesehen?«, fragte ich.
»Was?«
Ich drehte mich zu Katie um und ertappte sie dabei, wie sie ihre Tränen wegwischte. Einen Moment lang fragte ich mich, ob ihr das Ganze vielleicht doch näherging, als mir klar gewesen war. »Nichts«, sagte ich. »Ich habe mich geirrt.«
Mein Gefühl warnte mich, dass sie jeden Moment zu weinen beginnen würde, aber dann riss sie sich zusammen und griff stattdessen nach dem Weinglas. »Ich konnte Luke gut leiden, er war ein netter Mann«, erklärte sie, lächelte flüchtig und schniefte leise, als sich doch eine Träne bis in ihren Augenwinkel vorkämpfte. »Ach, ich bin nur egoistisch«, schluchzte sie. »Du weißt schon … Warum muss mir so was passieren? Warum muss es mein Collegejahr so durcheinanderbringen? Warum musste ich seine Leiche entdecken?«
»Wie wär’s, wenn ich die Fragen stelle?«, schlug ich vor. »Vielleicht hilft es dir, wenn du darüber redest.«
Sie wischte sich übers Gesicht und holte tief Luft, als stelle sie alles noch einmal auf Anfang. »Okay.«
»Beschreib mir, was du vorgefunden hast, so genau wie möglich«, bat ich sie.
Einen Moment lang dachte sie nach, dann begann sie zu reden. »Ich war ein paar Tage weg gewesen, bei meinen Eltern in Leeds. Ich bin für das College hergezogen. Während ich fort war, wollte Luke bei Sarah übernachten. Ich kam am Sonntag so etwa gegen halb zwei am Nachmittag zurück, und im Haus war alles ruhig. Ich dachte mir nichts dabei, aber nachdem ich mich einige Stunden hier aufgehalten hatte, kam ich auf die Idee, in Sarahs Zimmer nachzusehen.«
»Was brachte dich auf diese Idee?«, fragte ich.
Sie spitzte die Lippen, während sie darüber nachdachte. »Wenn ich jetzt so überlege, dann hatte ich wohl das Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Normalerweise betrete ich ihr Schlafzimmer nicht. Ich erinnere mich, dass ich im Badezimmer ihre Zahnbürste gesehen hatte, ich wusste also, sie war nicht weggefahren. Vielleicht war sie ja nur aus dem Haus gegangen, um irgendwo was zu trinken.« Sie zuckte mit den Schultern. »Vielleicht wollte ich auch nur mit jemandem quatschen. Ich war gerade von meiner Familie zurückgekommen, ich hatte eine stundenlange, beschissene Zugreise hinter mir. Ich klopfte an, aber es kam keine Antwort. Ich wartete, klopfte wieder an, und dann ging ich rein und …« Ihre Stimme versagte, sie musste sich erst wieder fassen, dann trank sie von ihrem Wein und versuchte, so sachlich wie möglich fortzufahren: »Luke lag auf dem Bett, das Blut klebte an den Wänden und auf dem Boden, und da war das Messer, das in seiner Brust steckte.«
Wieder versagte ihre Stimme, und diesmal brach sie in Tränen aus.
»Na, komm schon«, versuchte ich, ihr gut zuzureden. »Dich trifft keine Schuld.«
Sie atmete tief durch und erlangte ihre Fassung zurück. »Ich wusste nicht, was ich tun sollte«, erklärte sie leise. »Ich sah, dass er tot war. Er rührte sich nicht, und sein Gesicht war irgendwie … eingesunken. Und das Blut auf dem Boden war schon trocken. Das Zimmer sah schrecklich aus, das Blut klebte wie kleine Tränen an den Wänden, als wäre das Messer immer wieder herausgezogen worden, um dann noch mal zuzustechen. Überall war Blut, an der Tür, auf dem Boden … überall. Dabei lag Luke noch im Bett, die Decke lag über seinen Beinen, und die Arme waren so ausgebreitet, als hätte man ihn gekreuzigt.«
»War er nackt?«
Sie nickte nur.
»War sonst noch irgendwo im Haus Blut zu finden?«
»Mir ist nichts aufgefallen, aber die Polizei hat gesagt, dass sie im Badezimmer im Waschbecken und an den Wasserhähnen noch Blut entdeckt hat, aber nur winzige Spuren.«
»Hat Sarah irgendwas aus dem Haus mitgenommen?«
»Nicht dass ich wüsste. Ihre Zahnbürste war noch da. Die Bücher, Kleidung, Briefe … alles war noch da.«
»Die Handtasche? Die Brieftasche?«
»Ich habe sie nicht gesehen, aber die Polizisten
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