Hexenblut
zuvor noch geliebt. Was hatte er gesehen, als sie das Zimmer betrat? Etwas musste in ihren Augen zu erkennen gewesen sein. Wut? Rachegelüste? Hatte er ihr etwas angetan?
Vielleicht hatte er noch versucht aufzustehen, aber sie war ihm zuvorgekommen und hatte ihr ganzes Gewicht eingesetzt, um ihn aufs Bett zu drücken und jede Gegenwehr zu verhindern, damit sie ihm die Klinge tief in die Brust rammen konnte. Sie musste das Messer tief hineinrammen, sonst hätte sie keine Chance – schließlich war Luke jung und durchtrainiert. Katie sprach von Blutspritzern an der Wand, und die Klinge hatte in der Brust gesteckt. Also musste Sarah das Messer mehr als einmal in seinen Leib gestoßen haben.
Ich rätselte, welche Spuren die Polizei gefunden hatte. Gab es Fußabdrücke in der Blutlache oder Fingerabdrücke auf dem Messer? Was hatte die Polizei zu der Schlussfolgerung gelangen lassen, dass Sarah Lukes Mörderin war?
Ich schaute zur Tür, wo Katie stand. Sie hatte sich wieder im Griff, und jetzt sah sie mir zu, wie ich weitere Fotos von dem Zimmer machte.
»Hast du etwas Brauchbares gefunden?«, wollte sie wissen.
Ich verneinte, doch das war gelogen. Alles ließ sich für eine Story benutzen, man musste es nur richtig machen. »Das Ganze ergibt keinen Sinn«, sagte ich stattdessen und fuhr mir durchs Haar. »Wohin ich sehe, überall begegnet mir eine ganz normale junge Frau, die eine Beziehung zu einem ganz normalen jungen Mann hat, und dann tut sie etwas völlig Unnormales.«
»Ich weiß«, sagte Katie leise. Wieder kamen ihr die Tränen, und sie sah mich mit so großen Augen an, dass ich Mitleid mit ihr bekam und sie am liebsten getröstet hätte. Doch dann riss ich mich zusammen und dachte an Laura. Ich musste weg von hier. »Danke für den Wein. Und für die Ausdrucke.«
Sie machte eine überraschte Miene. »Du willst gehen?«
»Ich muss meine Story schreiben.«
»Aber ich habe Angst«, erwiderte sie. »Die Briefe kamen nicht mit der Post, sondern lagen einfach im Briefkasten. Das heißt, Sarah hält sich ganz in der Nähe auf.«
»Ich kann dir nicht helfen«, erklärte ich. »Wenn du dich bedroht fühlst, musst du dich an die Polizei wenden.«
Ich ging zur Tür, weil ich von hier wegwollte, weil ich mir den kalten Wind ins Gesicht wehen lassen wollte. Katie rührte sich nicht, also musste ich mich an ihr vorbeizwängen.
Als ich am Fuß der Treppe angekommen war, hielt sich Katie dicht hinter mir. Ich warf einen Blick in die Küche und entdeckte einen Messerblock, aus dem sechs schwarze Griffe herausragten. Allerdings war er für sieben Messer ausgelegt.
Ich ging zur Haustür – der Schlüssel steckte –, und während ich sie öffnete, drehte ich mich um und wollte mich verabschieden. Katie stand gegen die Wand gelehnt da und lächelte mich an. Ehe ich etwas sagen konnte, streckte sie den Arm aus und streichelte meine Wange. Bilder von Laura zuckten durch meinen Kopf. Ich trat einen Schritt nach hinten.
»Ich kann das nicht«, machte ich ihr klar.
»Das ist nicht das Gleiche, als wenn du sagen würdest, du willst es nicht«, murmelte sie.
Ich schüttelte den Kopf. »Der Grund ist der Gleiche«, sagte ich und wandte mich zum Gehen.
Als ich die Straße entlangging, spürte ich ihren Blick, der mir folgte. Einmal drehte ich mich zu ihr um, und da stand sie und sah mir nach. Dann bog ich um eine Ecke und atmete tief durch. Dort vorne stand mein Wagen, doch hinter mir hörte ich ein Motorengeräusch und das leise Poltern von Reifen. Es machte mich nervös. Offenbar folgte mir jemand mit Schrittgeschwindigkeit. Ich drehte mich um, konnte aber nur ein Scheinwerferpaar ausmachen.
In diesem Moment gab der Fahrer Gas und hielt Sekundenbruchteile später neben mir an. Mir war sofort mulmig zumute, als das Fenster geöffnet wurde und eine Stimme zu mir sagte: »Steigen Sie ein, wir machen einen kleinen Ausflug.«
27
S arah sah kaum auf, als die Tür geöffnet wurde. Ihr Lachen war verstummt, sie fühlte nichts als tiefe Verzweiflung. Sie war nicht zu mehr in der Lage, als mit einem Finger kleine Kreise in den Schlamm zu zeichnen. Die Angst lag jetzt hinter ihr, was sie nun wahrnahm, war weit schlimmer. Ihre Arme und Beine fühlten sich unendlich schwer an, ihre Bewegungen waren kraftlos und träge.
Sie merkte, dass er vor ihr stand und sie betrachtete, doch sie schaffte es nicht, den Kopf zu heben. Die Lautsprecher waren verstummt, daher konnte sie durch seine Kapuze hindurch die gleichmäßigen, rauen
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