Hexenblut
vermutlich eine Notwendigkeit für eine Lehrerin –, der Text war auf liniertem Papier notiert. Ich rutschte näher an den Bildschirm heran und kratzte mich gedankenverloren am Kinn, während ich las.
So war die Art meiner Vergehen und die Vielfalt meiner himmelschreienden Sünden, dass jedes Gefühl von Menschlichkeit abhanden kam. Der Mord, den ich begangen habe und der aller Welt offenbar wurde, rief gewiss Verachtung bei den Menschen hervor.
Sarah
Ich stierte auf den Bildschirm und sah dann ratlos Katie an, die nur mit den Schultern zuckte. Also las ich die Zeilen noch einmal, doch auch jetzt ergaben sie keinen Sinn. Wieder wandte ich mich an Katie: »Was hältst du davon?«
»So ziemlich das Gleiche wie du«, antwortete sie. »Ich begreife es nicht.«
Seufzend lehnte ich mich zurück. Ich hatte eine Story gewittert, aber das hier war einfach zu verrückt. »Bist du dir sicher, dass der Brief von Sarah stammt?«, fragte ich. »Morde ziehen die verrücktesten Typen an.«
»Die Handschrift«, erwiderte sie. »Die habe ich sofort erkannt. Eine beherrschte Schrift, ein wenig so wie Sarah selbst, die sich so stark zügelt und ganz formal auftritt.«
Ich schwieg und fragte mich, was die Botschaft zu bedeuten hatte. Es las sich fast so, als hätte sie etwas zitiert. Als hätte sie einen alten Text genommen und ihren Namen daruntergesetzt. »Himmelschreiende Sünden. « Das war nun wirklich keine alltägliche Formulierung.
»Und der zweite Brief?«, fragte ich.
Katie klickte den gleichen Ordner an und öffnete eine andere Datei. Das Bild zeigte die gleiche Handschrift wie zuvor.
So grausam ist der Mord, und so grausam sind die himmelschreienden Sünden des Blutes, dass sie nur mit Blut abgegolten werden können.
Sarah
Ratlos fuhr ich mir durchs Haar. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich las den Text noch einmal, versuchte, ihn zu dechiffrieren, und fragte schließlich: »Wann sind diese Briefe eingetroffen?«
Katie überlegte kurz. »Der erste kam drei Tage, nachdem ich Luke gefunden hatte. Der zweite vor ein paar Tagen.«
»War Sarah religiös?«, wollte ich wissen. »Die Worte ›himmelschreiende Sünden‹ tauchen in beiden Briefen auf. Ist sie zur Kirche gegangen? Könnte es einen Priester geben, dem sie sich anvertraut hat?«
Sie schüttelte den Kopf. »Da waren wir gegensätzlicher Ansicht. Ich gehe in die Kirche. Das habe ich schon immer gemacht. Sarah dagegen nicht, und sie sprach auch davon, dass sie das niemals machen würde. Ihre Familie gehört der Church of England an, aber sie praktiziert ihren Glauben nicht, und die Bibel war in der Schule offenbar weitestgehend an ihr vorbeigegangen.«
»Dann würde sie also normalerweise nicht von Sünden reden«, meinte ich und sah auf den Monitor. »Und das da … So grausam ist der Mord, und so grausam sind die himmelschreienden Sünden des Blutes, dass sie nur mit Blut abgegolten werden können. Das klingt nach einer Drohung, als sie gesündigt hätte und wieder sündigen wird, indem sie noch einmal mordet.«
Katie trank noch einen Schluck Wein. »So habe ich das Ganze noch gar nicht gesehen. Aber du könntest recht haben.« Sie sah mich an, und ich bemerkte einen verängstigten Ausdruck in ihren Augen. »Glaubst du, es ist eine Drohung, die gegen mich gerichtet ist?«
»Wie kommst du darauf?«
»Weil die Briefe an mich gerichtet waren«, antwortete sie und stieß den Atem aus. Das Flackern des Monitorbildes spiegelte sich in ihren Augen, in denen bereits die Tränen standen. Sie stellte das Glas weg und rutschte näher an mich heran.
»Ich habe Angst«, sagte sie leise und klang mit einem Mal sehr verwundbar. »Luke ist tot, und ich werde für den Rest meines Lebens seinen Leichnam vor Augen haben. Der einzige Mensch, der mir sagen könnte, was tatsächlich geschehen ist, hat sich aus dem Staub gemacht. Der Kontakt erfolgt ausschließlich über diese Briefe, die ich nicht verstehe.« Sie sah wieder auf den Monitor und wischte über ihre Augen.
Ich konnte dazu nichts sagen. Ich war nicht hier, um Katie zu beschützen. Ich war hier, um eine Story zu schreiben, doch die wurde von Minute zu Minute rätselhafter.
»Könnte ich davon einen Ausdruck haben?«, fragte ich und deutete auf den Monitor.
Katie nickte, und Augenblicke später trat der Drucker unter dem Schreibtisch in Aktion. Keine fünf Minuten, nachdem ich Katies Zimmer betreten hatte, war ich im Besitz von zwei Dokumenten, die vielleicht Geständnisse darstellten,
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