Hexenblut
bei mir unter und legte den Kopf auf meine Schulter. Eine Weile saßen wir so da und sprachen kein Wort, dann beendete Laura das Schweigen. »Und wieso hast du dich verspätet?«
»Wie ich schon sagte, ich wurde aufgehalten. Es tut mir leid, aber diese Story über Sarah Goode hat auf einmal eine sehr interessante Wendung genommen.«
»Inwiefern?«
Ich schaute ins Tal, wandte den Blick von Turners Fold ab und Richtung Pendle Hill. Der Hügel war nicht allzu hoch, und doch schien es immer so, als hingen die Wolken dicht über ihm – als würden sie von ihm angezogen.
»Siehst du den Hügel da?«, fragte ich.
»Welchen? Den länglichen?«
»Genau den«, bestätigte ich. Er wirkte tatsächlich immer so, als würde er der Länge nach in der Landschaft liegen, karger als die grünen Weiden ringsum, die Seiten irgendwie dunkler, trostloser.
»Was ist damit?«
»Der wurde schon Zeuge einiger seltsamer Ereignisse.«
Sie schüttelte sich. »Ich mag ihn nicht. Er sieht eigenartig aus, und er macht mir Angst.«
»Der Pendle Hill«, erläuterte ich, »ist ein Wahrzeichen dieser Region. Geschichten über Hexerei und üble Taten ranken sich um ihn.«
Laura lächelte daraufhin. »Hokuspokus, dreimal schwarzer Kater, oder was?«
»Damit liegst du gar nicht so verkehrt.«
»Wie soll ich denn das verstehen?«, fragte sie.
»Hast du noch nie von den Pendle-Hexen gehört?«, gab ich zurück.
Sie verzog den Mund. »Den Begriff habe ich schon mal irgendwo gehört, aber ich weiß nicht, was es damit auf sich hat.«
»Dann lass uns ins Haus gehen. Wir haben bald Halloween, und es gibt wohl keine bessere Zeit, um eine Gruselgeschichte zu erzählen.«
45
S arah zog die Knie bis an die Brust heran.
Sie wusste, sie musste von hier entkommen. Sie würde nicht bleiben, damit er immer dann über sie herfallen konnte, wenn er die Beherrschung verlor. Sie musste entkommen. Oder bei dem Versuch ihr Leben lassen. Aber um zu entkommen, musste sie bei Kräften sein und bei klarem Verstand. Es stimmte, was er sagte, sie hatte sich von ihrem Hass leiten lassen und nicht auf ihren Verstand gehört. Die Tür war offen gewesen, sie hätte weglaufen können. Stattdessen war sie von ihrem Hass verzehrt worden, und der Wunsch, diesen Mann zu töten, war stärker gewesen als der Wunsch, aus ihrer Zelle zu fliehen.
Sie musste eine innere Kraft finden, aus der sie schöpfen konnte.
Sarah stand auf und ging rückwärts durch den Raum, wobei sie ihre Hacken in den Boden drückte, um eine breite, gerade Linie in den Sandboden zu zeichnen, die von einer Ecke bis zur Mitte der gegenüberliegenden Wand verlief, von dort dann weiter zur anderen Ecke. Das wiederholte sie von der nächsten Ecke aus, doch schon jetzt hatte sie ihre Ferse blutig gescheuert. Dennoch machte sie weiter, weil sie wusste, sie musste weitermachen. Die nächste Linie war geschaffen, und schließlich war sie zurück in der Ecke, in der sie angefangen hatte.
Sie betrachtete ihr Werk, das zwar nicht perfekt war, aber für ihre Zwecke genügte.
Es war deutlich als Pentagramm zu erkennen.
Sarah kniete sich in die Mitte, sodass sich die fünf Zacken von ihr fort in alle Richtungen erstreckten. Sie schloss die Augen und versuchte, die Bilder, die sie jetzt brauchte, in ihrem Kopf heraufzubeschwören. Es war nicht so einfach, da aus den Lautsprechern unablässig der Herzschlag dröhnte und sich nur schwer in den Hintergrund drängen ließ, wo sie ihn nicht mehr wahrnahm.
Auf einmal wurde ihr bewusst, dass das Visualisieren leichter war, wenn sie sich an diesen Rhythmus anpasste, also schaukelte sie mal vor und zurück, mal hin und her, während sie die Augen geschlossen hielt und ihre Lippen den Ansatz eines Lächelns zeigten.
Dann kamen die richtigen Bilder zu ihr. Sie glaubte, tatsächlich zu spüren, dass eine warme Brise in den Raum wehte, als sie sich vorstellte, wie diese die Zweige eines Baums schaukeln ließ oder über die Härchen auf ihren Unterarmen strich. Ihre Haare schienen um ihre Schultern zu flattern. »Pass auf mich auf, Luft«, sagte sie leise. »Bewache mich, führe mich und beschütze mich bei allem, was vor mir liegt. Gesegnet seist du.«
Sarah fühlte sich stärker. Sie versuchte, an eine Flamme zu denken, indem sie sich bewegte wie ein flackerndes Feuer. Sie rieb über ihre Arme und fühlte, wie sie unter den Berührungen wärmer wurden. »Pass auf mich auf, Feuer. Bewache mich, führe mich und beschütze mich bei allem, was vor mir liegt. Gesegnet seist
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