Hexenerbe
früher oder später ihr Tod sein.
Sasha und Joel richteten sich auf und sahen einander an, während sie einige tiefe, reinigende Atemzüge taten. Dann wandten sie sich gemeinsam dem Bett zu, in dem Holly schlief.
Aber Holly saß aufrecht da und starrte sie an. Ein Lächeln breitete sich langsam über ihr Gesicht, und bei diesem Anblick lief Sasha ein Schauer über den Rücken.
»Bitte nicht«, sagte Holly in ruhigem Ton. »Danke, dass ihr den anderen geholfen habt und dass mein Knöchel so schnell geheilt ist. Aber ich will euch nicht in meinem Geist haben. Das ist zu persönlich.«
Sasha überlegte nur ganz kurz, ob sie versuchen sollte, Holly umzustimmen. Sie konnte die rasende Wut spüren, die von der jungen Frau ausging. Holly hatte sie kaum noch unter Kontrolle, und keiner von ihnen sollte sie allzu sehr bedrängen. Sasha sah Holly einen Moment lang in die Augen. Eines Tages werden wir uns darüber unterhalten, dachte die ältere Hexe.
Holly deutete mit einem knappen Nicken an, dass sie Sashas Botschaft verstanden hatte.
Wir werden uns ganz sicher nie darüber unterhalten, dachte Holly und klopfte ihr Kopfkissen zurecht. Sie hatte es mit etwas Lavendelöl betupft, gegen die Traurigkeit, und mit Rosmarinduft zum Gedenken. Was ich im Herzen trage, geht nur mich etwas an. Und ich habe es allmählich satt, dass Sasha jeden meiner Schritte hinterfragt. Ich habe doch gesagt, dass wir Nicole zuerst retten werden, also tun wir das auch.
Aber wenn die Wahl bei mir läge ... wie könnte ich mich zwischen meiner Cousine und der übermächtigen Liebe entscheiden, die weit über mich und Jer hinausgeht?
Verbissen schloss sie die Augen. Der helle Tag würde ihr vor Augen führen, dass Nicole zur Familie gehörte, ihre Blutsverwandte war. Jer hingegen war in mehrfacher Hinsicht ein Außenseiter. Er stammte aus einem anderen magischen Haus, sein Bruder und sein Vater setzten alles daran, Holly und jeden, der ihr nahe kam, zu ermorden. Sie kannte ihn noch gar nicht lange und hatte insgesamt höchstens ein paar Tage mit ihm verbracht.
Aber wenn ich wählen dürfte ...
Sie trieb davon, als rosiger Nebel vor ihren geschlossenen Lidern vorüberzog. Ihr Körper löste sich sanft von all den Sorgen, Kümmernissen und Anstrengungen. Sie hörte das Plätschern ruhiger Wellen an Holz, ein warmes, weiches Geräusch wie von einem Kätzchen, das eine Schale Sahne schleckte. Der Himmel war frisch und klar, die weite Wasserfläche glatt und still. Sie trieb dahin, doch ihr kleines Boot glitt beständig auf die Insel zu.
Im Sonnenschein schimmerten die Zinnen einer uralten Burg. Sie war von Heckenrosen umschlossen, deren Blätter an den Blüten ruhten wie die Hände am Herzen auf einem Claddagh-Ring. In jedem der bogenförmigen Bleiglasfenster, die in der Sonne glänzten, war ein Buchstabe abgebildet. Sie ergaben die Worte R-E-T-T-E M-I-C-H.
Sie fürchtete sich nicht. Es würde ganz einfach sein.
Die Insel wurde immer größer, je näher das Boot heranglitt. Das Ufer war einladend, und ein weicher Teppich aus Moosen und Farnen nahm den Rumpf ihres hölzernen Bootes in Empfang. Als sie aufstand und an sich hinabblickte, sah sie, dass sie in den Cahors-Farben Schwarz und Silber gekleidet war. Lange Spitzenärmel berührten den Saum ihres gerade geschnittenen Rocks. Auf dem lockigen schwarzen Haar saß ein silberner Reif, und sie trug Ohrringe, die ihr bis auf die Schultern hingen. Ein passender silberner Gürtel war um ihre Hüften geschlungen.
Das Boot war mit schwarzem Samt gepolstert, die Ruderdollen aus Silber geschmiedet. Als sie das Ufer betrat, hob eine kleine Galionsfigur am Bug eine Hand zum Gruß. Es war eine griechische Kriegerin, deren offener Helm ein stilles Lächeln voll Selbstsicherheit und Stolz enthüllte.
Schon im alten Griechenland war meine Blutlinie mächtig, dachte Holly. Unser Blut adelt magische Frauen seit Jahrhunderten.
Mit diesem Wissen war sie noch zuversichtlicher, dass sie ihre einzige, wahre Liebe retten würde.
Ihr Fuß in einem weichen Pantoffel berührte weichen Farn, und dann ...
... ging sie durch den sanften Wald. Vogelstimmen begrüßten sie, als sie eine sonnige Lichtung betrat. In der Mitte reckte sich eine gewaltige Eiche in den Himmel, deren üppige Zweige sich wie ein Baldachin über dem Mann darunter ausbreiteten.
Es war Jer mit seinem dunklen Haar, das sich um die Ohren lockte, und seinen dunklen Deveraux-Augen. Er war mit einem Efeukranz gekrönt und ruhte auf einem Lager aus
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