Hexenerbe
London
Sasha war besorgt. Holly geriet allmählich wieder außer Kontrolle, wie bereits im Mondtempel in Paris. Holly war die machtvollste aller lebenden Hexen, aber Sasha fürchtete, sie könnte zu jung sein, um eine so gewaltige Verantwortung zu tragen. Und wie mächtig Holly auch sein mochte, dem Obersten Zirkel war sie nicht gewachsen.
Joel setzte sich so verstohlen und leise neben sie, dass sie ihn beinahe nicht bemerkt hätte. Sie öffnete die Augen und sah in sein besorgtes Gesicht. »Na, was hältst du von unserem kleinen Zirkel?«
»Die meisten von euch sind ... gebrochen«, sagte er und zauderte ein wenig beim letzten Wort.
Sie nickte zustimmend. »Holly hat ihre beste Freundin und ihre Eltern verloren, ihr Hexenerbe erkannt und ist zur Anführerin ihres eigenen Covens geworden, und all das innerhalb eines Jahres. Während dieser Zeit hat sie obendrein ständig gegen Michael Deveraux gekämpft. Jetzt ist uns der gesamte Oberste Zirkel auf den Fersen.«
Er zog die Augenbrauen hoch. »Eine so schwere Bürde kann niemand allein tragen.«
»Holly ist nicht allein«, sagte Amanda verletzt von der Tür her.
Joel lud sie mit einer Kopfbewegung ein, sich zu ihnen zu setzen. »Nein, aber sie fühlt sich damit allein.«
Amanda trat zu ihnen, die Arme vor der Brust verschränkt. Sie wirkte zornig, aber vor allem verängstigt. Joel und Sasha rückten auseinander, damit Amanda sich zwischen sie setzen konnte. Sie zögerte nur einen Augenblick lang, ehe sie sich aufs Sofa sinken ließ.
»Sie macht mir Angst«, flüsterte sie so leise, dass Sasha sich anstrengen musste, um sie zu verstehen. »Sie hat mich gerade richtig angeschrien. Ich habe mich so erschrocken. Und ich dachte, was, wenn sie mal richtig sauer auf mich wird?«
Sie begann leise zu weinen, und Sasha zog sie an sich und flüsterte heilende Zauber über ihrem Kopf. Joel fiel mit ein, und sein weicher schottischer Zungenschlag strich über sie hinweg. Sasha konnte Amandas große Trauer um ihre Mutter spüren, die Angst um ihren Vater und ihre Schwester und wie sehr sie sich für Holly und deren Handlungsweise verantwortlich fühlte.
Schließlich versiegten Amandas Tränen, und sie richtete sich auf. »Was habt ihr mit mir gemacht?«, murmelte sie. »Ich fühle mich fantastisch.«
»Joel ist Heiler«, sagte Sasha und lächelte die männliche Hexe an.
»Das liegt den meisten Druiden im Blut.«
»Druiden?«, wiederholte Amanda.
»Ja. Ich stamme von den Kelten ab. Druiden beziehen ihre Kraft aus der Erde und bemühen sich, Harmonie und Gleichgewicht in ihr zu finden und dann in ihrem eigenen Inneren zu spiegeln.«
»Und du betest die Göttin an?«, fragte Amanda, die sich schon etwas schläfrig anhörte.
Er nickte. »Es ist nur ein kleiner Schritt von Mutter Erde zur Göttin. Ja, viele würden sagen, sie sind ein und dieselbe.«
Amanda nickte. »Danke. Für alles, was du für uns tust, und für mich«, nuschelte sie, und ihr fielen die Augen zu.
Er zuckte mit den Schultern. »Ich tue nur, was ich kann.«
Sasha fing Joels Blick auf. »Möchtest du denn noch etwas tun?«
Er nickte.
Ein leises Schnarchen drang aus Amandas Nase. Das Mädchen war mit dem Kopf auf der Brust eingeschlafen. Sasha und Joel standen auf und legten sie vorsichtig auf das Sofa.
Dann gingen sie gemeinsam ins Schlafzimmer. Sie traten erst vor Silvanas Feldbett und bewegten die Hände über dem Körper der jungen Frau durch die Luft. Sasha konnte ihre Angst spüren und die Sorge um ihre Mutter, die in Amerika geblieben war, um den Schamanen Dan Carter und Amandas Vater Richard zu beschützen. Sasha und Joel raunten beruhigende, stärkende Worte und baten die Göttin, jene zu schützen, die Silvana zurückgelassen hatte.
Als Nächstes gingen sie zu Tommy. Genau wie Amanda hatte er Angst vor Holly. Doch seine Besorgnis galt in erster Linie Amanda - er befürchtete, ihr könnte etwas geschehen. Seine Angst um sie war ebenso groß wie seine Liebe zu ihr. Die beiden raunten auch über ihm Worte der Kraft und des Friedens, als Amandas Fels in der Brandung.
Als die beiden die Hände über Kari erhoben, spürte Sasha deren Grauen so stark, dass sie beinahe aufgeschrien hätte. Sie warf Joel einen Seitenblick zu und sah Karis Panik und Entsetzen auch in seinem Gesicht gespiegelt. Sie arbeiteten mehrere Minuten lang daran, Karis Geist, ihre Seele und ihren Körper von der lähmenden Angst zu befreien. Sasha wusste, wenn ihnen das nicht gelang, würde Karis Handlungsunfähigkeit
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