Hexenerbe
Informationen zukommen lassen! Eure gesamte Familie hat uns verraten, und das seit Jahrhunderten! Und nun dachtet Ihr, der rechte Zeitpunkt sei gekommen. Ihr wart unvorsichtig und habt Kontakt zu ihnen aufgenommen. Ich habe Euch die ganze Zeit über beobachtet.«
»Nein, Sir William! Das ist ein furchtbarer Irrtum ...«
»Ihr dachtet, ich wüsste von nichts. Das war allerdings ein Irrtum!«, brüllte Sir William.
Ein grässlicher Schrei hallte zu Nicole herauf. Sie hielt sich die Ohren zu, doch der Laut drang trotzdem durch. Das Kreischen nahm kein Ende, bis sie glaubte, gleich selbst schreien zu müssen.
Plötzlich herrschte Stille. Dann war ein dumpfer Schlag zu hören, wie der Aufprall eines Körpers auf Stein.
»Macht hier sauber«, befahl Sir William.
Einen Moment lang war Nicole so verängstigt, dass sie kaum etwas sehen oder atmen konnte. Dann huschte sie, so schnell sie konnte, auf Händen und Knien davon, bis sie sich wieder aufrappeln konnte. Sie krümmte sich zusammen und würgte. Dann rannte sie los und flehte die Göttin an, sie zu Jer zu führen, ehe das, was diesem Mann namens Monroe geschehen war, auch Jer oder ihr widerfahren konnte.
Sie fand eine Treppe und raste hinunter. Keuchend hastete sie um einen Treppenabsatz und die nächsten Stufen hinab. Sie tastete sich in der Dunkelheit voran, und dieser herzzerreißende Schrei hallte ihr noch immer in den Ohren wider.
Vor ihr schwebte plötzlich ein Licht gut einen halben Meter über dem Boden.
Sie blieb abrupt stehen, wich zurück und zitterte so heftig, dass sie kaum mehr stehen konnte.
Aus dem Licht kam eine Stimme.
»Nicole?«
»Holly«, flüsterte Nicole. »Holly!« Sie rannte auf das Licht zu und betete, das möge keine Falle sein. Sie flüsterte: »Ich bin hier! Ich bin es!«
»Komm ins Licht«, sagte Holly. »Das ist ein Teleportationszauber. Wir holen dich hier raus.«
Nicole trat einen Schritt vor. Dann zögerte sie und sagte: »Jer ist auch hier, im Hauptquartier. Aber er ist nicht bei mir.«
Kurz herrschte Schweigen. Dann sagte Holly mit fester Stimme: »Tritt ins Licht, Nicole. Wir holen ihn später.«
»Aber ...«
Und dann hörte sie Schritte die Treppe herunterkommen.
Sie rannte auf das Licht zu. Doch kurz bevor sie in den Lichtschein treten konnte, verschwand er urplötzlich. Jetzt stand sie in vollkommener Dunkelheit, blinzelte gegen das Nachbild des gleißenden Lichts an, desorientiert und erneut der Panik nahe.
Die Schritte hatten schon fast den Fuß der Treppe erreicht. Sie waren schwer, Männerschritte - bildete sie sich das nur ein, oder klangen sie wie James' Schritte?
Ihr Herz pochte. Sie blickte über die Schulter zurück und sah einen kleinen Lichtschein wie von einer Kerze oder Taschenlampe in der Luft hüpfen, als derjenige, der da kam, die letzte Stufe nahm. Aus seinem gemächlichen Tempo schloss Nicole, dass er sie noch nicht gesehen hatte.
Sie wandte sich vorsichtig nach links, stieß auf kein Hindernis und ging los, so schnell und leise sie konnte. Ihre Schulter prallte gegen eine Wand. Vermutlich war sie in einen Seitengang geschlüpft. Sie ging weiter und biss sich auf die Lippe, um nicht aufzuschreien, als etwas über ihren Schuh huschte.
Dann trat sie plötzlich in übelriechendes Wasser. Platschend watete sie durch kniehohe Brühe. Der Gestank erstickte sie beinahe, doch sie lief weiter und blickte sich ängstlich um. Sie machte zu viel Lärm, doch sie brachte es nicht fertig, langsamer zu gehen. Sie hatte zu viel Angst.
Schließlich wurde das Wasser wieder flacher, und dann hatte sie es hinter sich. Der Gang führte zu einer weiteren Treppe. Sie lief hinunter, müde und erschöpft und schon beinahe ohne jede Hoffnung, Jer jemals zu finden. Immer wieder hörte sie diesen grauenvollen Schrei. Sie zwang sich mit aller Kraft, sich nicht auszumalen, was Sir William dem Mann namens Monroe angetan haben mochte, den er zum Verräter gestempelt hatte.
Dann erkannte sie plötzlich, dass sie auf dem letzten Treppenabsatz vor dem Verlies stand. Als sie hinunterstieg, erkannte sie das trübe Licht und die Reihe vergitterter Zellen.
Ihr Herz machte einen Satz, und sie rannte los, schwindelig vor Erleichterung und zitternd vor Erschöpfung.
»Jer«, flüsterte sie atemlos. »Jer, ich bin's, Nicole! Ich habe die Sachen!«
Sie erreichte seine Zelle just in dem Moment, als die vertraute weiße Lichtkugel darin erschien. Jer, der sie offenbar nicht gehört hatte, trat ins Licht.
Dann verschwand es wieder,
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