Hexenerbe

habe ihm gar keine Chance gegeben, nein zu sagen. Ich habe ihn ins Licht gezogen. Er wusste nicht einmal, was das für ein Licht war.
    »Und so dankst du ihr diese Hilfsbereitschaft?«
    Amandas Vorwürfe trafen Holly tief - vielleicht kamen sie auch nur der Wahrheit zu nahe.
    »Philippe, mach ein Portal auf!«, schrie Holly. »Schnell!«
    Rose bildete mit Philippe, Alonzo, Armand und Pablo einen Kreis, und sie begannen in einem alten keltischen Dialekt zu singen. Sasha zog auch Amanda in den Kreis und nahm Roses andere Hand. Ein stecknadelkopfgroßer Lichtpunkt erschien in der Mitte des Kreises, knapp einen Meter über dem Boden. Er wurde immer heller und vergrößerte sich. Ein leises, kaum hörbares tiefes Summen ging von dem Licht aus.
    Es dehnte sich zu einer Ellipse, spaltete sich in zwei Ringe auf und dann in noch mehr Ringe. Auch die einzelnen Ringe begannen zu strahlen und zu rotieren, während das Summen immer lauter wurde.
    Ein lautes Krachen war zu hören, und in dem länglichen Oval pulsierte grelles Licht.
    Das Portal war erschaffen.
    Jetzt war Holly an der Reihe. Sie schloss die Augen und konzentrierte sich auf Nicole, darauf, sich mit ihren Energien zu verbinden, eins mit ihr zu werden. Sie war die Einzige in der Gruppe, die stark genug war, eine solche Vereinigung zu schaffen, und sie wusste, warum Amanda sich so aufregte: Holly hätte ganz auf Nicole konzentriert sein müssen, und doch hatte sie offensichtlich auch an Jer gedacht ... denn hier saß er.
    Dann sah Holly Nicole vor ihrem geistigen Auge ... und was sie sah, gefiel ihr gar nicht.
    Ihre Cousine trug ein schwarz-rotes Ritualgewand und war an einen Altar gefesselt. Ihre Augen starrten blind ins Leere, während Eli Deveraux und ein Mann, den Holly nicht kannte, sich über sie beugten und summten. »Nein«, murmelte sie.
    »Was? Was ist los? Was siehst du?«, schrie Amanda auf und trat einen Schritt auf Holly zu, doch Sasha packte sie energisch an der Schulter, damit der Kreis geschlossen blieb.
    »Du darfst ihre Konzentration nicht stören«, warnte sie. »Hilf uns, Amanda.«
    Amanda schloss die Augen und fiel wieder in den monotonen Gesang ein, den Rose und Philippe aus zwei Zaubern zusammengesetzt hatten - einer entstammte der Tradition des Mutterzirkels, der andere der seines Zirkels.
    Holly nutzte die Kraft, die Amandas starkes Bild von ihrer Schwester bot, um sich noch besser mit ihr zu verbinden. Dann konzentrierte sie sich auf Jer, der sich das Badetuch über den Kopf gehängt hatte - er war als Einziger gerade noch in Nicoles unmittelbarer Nähe gewesen.
    Und als sie sich so gut wie möglich im Einklang mit ihrer Cousine fühlte - Sie ist betäubt worden! -, trat sie in das Portal ...
    ... und Jer sprang ihr nach.
    »Jer«, keuchte sie, als das strahlende weiße Licht sie umgab. In der blendenden Helligkeit konnte sie seine Narben nicht sehen, nur seinen vagen Umriss. Aber sie konnte ihn spüren, sowohl seine körperliche als auch seine spirituelle Gegenwart.
    »Wo ist sie?«, fragte er.
    »An einen Altar gefesselt. Dein Bruder ist da, und noch ein anderer Mann ...«
    »Ich übernehme die beiden. Du befreist Nicole.«
    Jer sprang aus dem Licht. Holly riss sich zusammen und folgte ihm.
    Die Dunkelheit in dem Raum verunsicherte sie. Es war, als hätten ein Dutzend Kameras ihr ins Gesicht geblitzt, und sie stolperte und versuchte einen hastigen Zauber, um besser sehen zu können.
    Das half ein wenig. Sie kniff angestrengt die Augen zusammen, lief zum Altar und nahm Jer und die beiden anderen Männer nur verschwommen wahr. Jer schleuderte Feuerbälle gegen seinen Bruder, dann nahm er einen Athame vom Altar und griff damit den Mann an, den Holly nicht kannte. Eli lenkte jedes Geschoss ab, das aus den Fäusten seines Bruders geflogen kam, und lachte nur.
    »Na, kleiner Bruder, spielst du den edlen Ritter?«, höhnte er. »Oder hast du Holly hereingelegt, damit sie uns direkt in die Hände fällt?«
    Damit schleuderte Eli einen langen Strang magischer Energie in Hollys Richtung. Das Ende kreiste über ihrem Kopf wie ein Lasso, fiel dann herab und fesselte ihr die Arme an den Körper. Sogleich begann es sich in weitere Schnüre aufzuteilen, bis Holly in einem schimmernden Netz gefangen war.
    »Holly!«, rief Jer und rannte auf sie zu. Doch James drängte ihn mit einer Salve von Energiestößen zurück, die ihn durch den Raum schleuderten. Hilflos sah Holly zu, wie Jer mit einem furchtbaren Krachen gegen die Wand schlug und zu Boden