Hexenerbe
ihr dagegen sträubte, fragte sie: »Was ist?«
Er drehte sich wieder zu ihr um. »Ach, weißt du, Elis Vater hat nur eine ansehnliche Armee aus verstorbenen Deveraux versammelt. Er wird euch in, na ja, etwa« - er sah auf seine Armbanduhr - »fünfzehn Minuten angreifen.« Damit wandte er sich ab und verschwand mit Eli in der Dunkelheit.
Nicoles Knie gaben nach, und Philippe fing sie auf. Sie ließ den Blick durch einen Raum voll erschrockener Gesichter schweifen. Alle starrten sie an, bis auf Silvana, die über den reglosen Körper ihrer Tante gebeugt weinte, und Holly, die bei diesem Anblick schallend lachte. Das war zu viel für Nicole. Sie fuhr mit der Hand durch die Luft, und es war, als hätte sie die »Stumm«-Taste auf einer Fernbedienung gedrückt. Silvana weinte immer noch, und Holly lachte weiterhin, aber Nicole konnte sie nicht mehr hören.
Philippe ließ sie sacht zu Boden sinken, und sie klammerte sich an seinen Arm. In einer Viertelstunde würden sie alle so tot sein wie Tante Cecile.
Holly hörte Explosionen. Benommen öffnete sie die Augen und stellte fest, dass sie das einige Anstrengung kostete. Wo bin ich? Plötzlich stand ihr alles wieder vor Augen - die Traumzeit, die Dämonen. Hatte sie es zurück nach Hause geschafft? Vorsichtig blickte sie sich um. Sie spürte Klauenfinger, die mit ihr rangen und sich in die Ränder ihres Bewusstseins krallten.
Ihr Blick fiel auf Silvana. Das Mädchen beugte sich schluchzend über Tante Cecile. Schläft Tante Cecile etwa?, wunderte sich Holly. Aber die ältere Frau lag eher da, als wäre sie tot. Holly hörte etwas an ihrem Geist kratzen, das wie Ratten an dessen Rand nagte. Sie hörte die kleinen Krallen klicken und klackern. Alle starrten Nicole an. Alle außer Silvana. Silvanas Haar wurde nass von ihren eigenen Tränen.
Holly brach in Lachen aus.
»Was tun wir jetzt?«, fragte Amanda verwirrt und erschüttert.
»Ich weiß es nicht«, gestand Nicole, den Kopf in die Hände gestützt.
Alonzo kam aus dem Nebenzimmer herein. Dann stand plötzlich eine Frau in ihrer Mitte, die Nicole noch nie gesehen hatte. Wenn man bedachte, wie der Abend bisher verlaufen war, überraschte sie das eigentlich nicht mehr.
Anne-Louise Montrachet stand ernst vor ihnen. »Ihr braucht unsere Hilfe.«
Nicole starrte Amanda an. »Wer ist das?«
Amanda presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen, doch sie konnte den Ausdruck der Erleichterung in ihren Augen nicht verbergen. »Anne-Louise. Sie kommt vom Mutterzirkel.«
Nicole nickte und wandte sich wieder Anne-Louise zu. Die ältere Frau begrüßte sie mit einem flüchtigen Nicken. Sie mag uns nicht besonders, dachte Nicole.
»Fürs Erste seid ihr in Sicherheit. Die Banne werden halten.«
Nicole zog fragend eine Augenbraue hoch. Doch ehe sie den Mund öffnen konnte, erklärte Amanda ihr: »So etwas kann sie wirklich gut.«
»Besser als jede andere«, bemerkte Anne-Louise. »Aber das ist jetzt nicht wichtig. Michael Deveraux und seine Armee sind im Anmarsch. Es wird eine große Schlacht geben.«
Amanda atmete tief durch. Tommy erschien aus dem Nebenzimmer, trat zu ihr und schloss sie in die Arme. An die Frau gewandt fragte er: »Hast du uns Unterstützung mitgebracht?«
Anne-Louise nickte erneut. »Wir werden tun, was wir können.«
»Dann bete ich zur Göttin, dass es diesmal genug ist«, erwiderte Tommy leise.
In der Ferne war das Donnern zahlloser Schritte zu hören, Vögel kreischten. Der Boden begann zu beben.
Die anderen sahen einander an und dann Anne-Louise.
Doch die starrte Holly an, deren Gesicht wieder zu einer dämonischen Fratze verzerrt war.
»Unter Umständen werden wir sie ... töten müssen«, murmelte sie.
Amanda und Nicole starrten sie an.
»Sie kommen«, verkündete Pablo.
Die Toten marschierten für Michael Deveraux. Auf den Friedhöfen erhoben sie sich in ihren Leichengewändern, mit Matsch und Fäulnis verklumpt. Aus der Bucht kämpften sie sich durch Schiffswracks und Algenwälder voran, denn sie brauchten nicht zu atmen, und krochen schließlich die Strände empor. Während sie durch die Dunkelheit und neu einsetzenden Regen marschierten, lösten sich manche Körperteile ab: Arme, Rippen, sogar ein paar Köpfe blieben liegen, wohin sie fielen.
Im schweren Regen und den überwucherten Abwasserkanälen brachen Ungeheuer aus anderen Dimensionen hervor und taumelten zu der Klippe, wo Michael Deveraux sie erwartete. Scharen von Bussarden verdunkelten den Mond, und Wichte ritten auf
Weitere Kostenlose Bücher