Hexenfluch: Roman (German Edition)
Thorens?«
»Warum waren Sie überhaupt hier?«
Er schlug sich mit den Fingerspitzen gegen die Stirn, ehe er in seine Gesäßtasche griff und seine Brieftasche hervorzog. »Ich wollte Ihnen das Foto Ihrer Mutter zurückbringen.«
Mit einem Schlag war Ellas Mund wie ausgedörrt. »Und?« Sie musste sich räuspern, um das Wort herauszubringen, während sie zusah, wie er die Fotografie behutsam aus seiner Brieftasche nahm, sie neben den Notizblock auf das Sideboard legte und mit dem Kugelschreiber beschwerte, damit sie nicht von einem Luftzug heruntergeweht werden konnte.
Er zögerte einen Moment, bevor er sie ansah. »Sie haben recht: Sie ist tot. – Es tut mir leid. – Vor allem, dass ich Ihnen noch einmal Hoffnung gemacht hatte.«
»Wissen Sie, wie …?« Sie verstummte.
»Nein.« Havreux schüttelte den Kopf. »Aber wenn Sie möchten, kann ich versuchen, es herauszufinden.«
Eine Sekunde wollte Ella ›Ja‹ sagen, doch dann holte sie einmal tief Luft und stieß sie wieder aus. »Nein danke …«
Havreux nickte verständnisvoll. »Dann gehe ich jetzt … Bis morgen, Dr. Thorens.«
Gleich darauf schlug die Eingangstür zu.
12
Es war also so weit. Heute Nacht. Kristen ließ die Türflügel hinter sich zufallen. Lyreshas Parfum hing noch in seiner Kehle. Ebenso wie der Geschmack ihres ›Weines‹. Sie war so zufrieden mit sich selbst, dass sie dafür, dass sie zwei Mal hatte nach ihm ›rufen‹ müssen, nicht mehr getan hatte, als den Bannfluch lange genug zu wecken, um ihn minutenlang auf die Knie zu zwingen. Und dafür, dass er bei der kleinen Ärztin seine Magie benutzt hatte, um die Flammen heraufzubeschwören. Der Rest seiner … Strafe war … erträglich gewesen. Vergleichsweise.
Nun ja. Sie brauchte ihn heute Nacht.
Kristen schob die Hände in die Hosentaschen und wandte sich den Korridor hinunter, der zur Treppe und damit zu seinem Penthouse hinauf führte. Dem höchsten Punkt des Havreux Tower. Dabei hatte er Höhenangst. Dank Lyresha. Der Witte Kliff auf Helgoland war kein Ausweg gewesen. In all den Jahren hatte er nicht einen Fuß auf den Dachgarten gesetzt. Oder sich näher als einen Meter an die Glasfront, die die Außenmauer bildete, herangetraut. Aber wenigstens konnte er weitestgehend sicher sein, dass sie ihn dort oben zufrieden ließ. Zu viel Licht. Und außerdem zu hoch über der Erde und damit viel zu weit entfernt von den Schatten, an die sie noch immer gebunden war. Wie lange noch?
Er stieg die Stufen hinauf. Seit wann hatte der Teppich diese Flecken? Zugegeben, in dem dunklen Weinrot des Stoffes fielen sie nicht sonderlich auf. Trotzdem würde er sich bei Gelegenheit darum kümmern müssen.
Inzwischen hatte er eine gute Vorstellung davon, was Lyresha vorhatte. Diese fünf ganz bestimmten Grundstücke und Gebäude in L.A., die sie ihn hatte kaufen lassen … Nach und nach. Über Jahrzehnte hinweg. Zuerst hatte es scheinbar keinen Zusammenhang gegeben, aber nach dem Dritten hatte er etwas geahnt. Und seinerseits ein paar Fäden gezogen. Jetzt verliefen die Grenzen des Vierten und Fünften nicht mehr ganz so wie auf den Plänen, die Lyresha kannte. Ob ein paar Meter allerdings genügten, um ihr Vorhaben zu vereiteln, würde sich zeigen müssen.
Aus seiner Ahnung war Gewissheit geworden, als sie begonnen hatte, ihn nach diesen Steinen suchen zu lassen. Sechs Stück. Fünf für die Spitzen des Pentagramms. Einer in seinem Zentrum: dem Havreux Tower.
Und sobald sich das Pentagramm schloss … konnte sie sich innerhalb seiner Grenzen frei bewegen. Es würde sich in die reale Welt hinein ausdehnen. Wie ein Krebsgeschwür, das langsam, aber unaufhaltsam vor sich hin wucherte. Und je größer die Macht des Hexers war, mit der man es verankerte, umso weiter würde es reichen.
Dass er mit den Vorbereitungen dafür, den ersten Stein an die Erde zu binden, heute Nacht beginnen sollte, war ein eindeutiges Indiz dafür, wie das Ganze enden würde. Es würde seine Macht sein, die das Pentagramm verankerte. – Seine Macht. Sein Leben.
Nun war es also soweit. Er war nicht sicher, was er bei dem Gedanken daran empfand. Wut? Angst? – Erleichterung? Im Moment fühlte er sich nur leer und müde.
Zugegeben, er hatte gehofft, sie noch eine ganze Weile hinhalten zu können. Hatte ganz bewusst auf Zeit gespielt und sogar persönlich dafür gesorgt, dass zwei der Steine in den Tiefen irgendwelcher nicht katalogisierten Museumsbestände an entgegengesetzten Enden der Welt
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