Hexenfluch: Roman (German Edition)
Einer seiner Mundwinkel hob sich zu einem abfälligen, halben Lächeln. »Heute existieren die Familiendynastien bis auf zwei oder drei Ausnahmen nicht mehr. Aber auch ihre Macht hat der sogenannte ›Rat‹ mehr als beschnitten. Er steht jetzt an oberster Stelle.« Das Lächeln wurde kalt, beinah … böse. »Ein Gremium von neun mächtigen Hexern, die für sich das Recht in Anspruch nehmen, über die Menschen zu herrschen, die wie Sie und ich diese Gabe in sich tragen. Bigotte Reaktionäre, die sich allem verschließen, was modern und fortschrittlich ist. Und sich ganz nebenbei für das personifizierte Maß aller Dinge halten.« Ein leises, verächtliches Schnauben. »Jeder von ihnen hat einen Klüngel aus Speichelleckern um sich, die alles tun, um in der Gunst ihres Meisters aufzusteigen. In der Hoffnung, irgendwann einmal seinen Platz einzunehmen. Mit oder ohne dessen Einverständnis. – Ihm eine junge, hochbegabte Heilerin zu bringen, die keine Ahnung hat, wie sie ihre Kräfte kontrollieren kann, wäre ein Karriereschub par excellence.« In einer kleinen Bewegung hob er die Schultern. »Die wenigen Hexer, die sich dem Diktat des Rates nicht beugen wollen und sich in eigenen kleinen Zirkeln zusammengeschlossen haben, sind meistens nur eine Haaresbreite vom Status der Gesetzlosen entfernt. Entsprechend sind auch sie immer daran interessiert, neue Mitglieder zu rekrutieren, um ihre Macht zu vergrößern.« Abermals schüttelte er den Kopf, wies mit einer knappen Geste in ihre Richtung. »Egal, ob Zirkel oder Rat, Ella, jeder davon würde versuchen, Sie sich gefügig zu machen, um Sie und Ihre Macht für sich nutzen zu können. Absolut ohne Skrupel. – Und das sind nur die Parteien, die zu unserer Seite der Welt gehören.«
»Unserer Seite?« Noch vor kurzem hätte sie darüber gelacht. Ihm gesagt, dass das alles wie aus einem schlechten Film klang. Nur schien ihr Leben in dieser Gasse von einem Moment zum nächsten selbst zu einem schlechten Film geworden zu sein.
Havreux rieb sich den Nacken, sah sie von unten herauf an. »Neben der Welt, in der wir leben, gibt es noch eine andere. Eine … Schattenwelt. Die neben der realen, für jeden Menschen wahrnehmbaren Sphäre existiert.« Seine Stimme klang jetzt wieder hart. »Eine Welt, die unserer gleicht, aber so, als würde man in einen angelaufenen Spiegel schauen, dessen Silberbeschichtung Risse hat. Eine Welt, in der düsteres Zwielicht herrscht und die Schatten dunkler sind, wie lebendig – und das manchmal auch sind. Eine Welt der Dämonen und anderer Kreaturen aus Alpträumen und Legenden. Nur, wer wie Sie und ich diese Gabe in sich trägt, kann diese Welt sehen. Und sie betreten.«
Die Worte jagten ihr einen Schauer über den Rücken. Abermals fuhr Ella sich übers Gesicht. Ein schlechter Film! Genau das war das alles. »Nehmen wir an, ich glaube Ihnen, Mr. Havreux. Heißt das, ich muss nicht nur damit rechnen, dass plötzlich irgendwelche Hexer vor meiner Tür stehen, sondern auch Dämonen?«
»Theoretisch nicht. Die wirklich mächtigen Dämonen können nur unter ganz bestimmten Bedingungen in unsere Welt wechseln. Und das auch nur für kurze Zeit …«
»Aber wenn diese … Dämonen normalerweise nicht in unsere Welt kommen können, droht mir doch von dieser Seite gar keine Gefahr?« Ella schob die Decke beiseite, schwang die Beine über den Sofarand, setzte sich endgültig auf und lehnte sich ein wenig vor. Erst mit einiger Verzögerung wurde ihr klar, dass sie beinah in derselben Haltung dasaß wie er.
»Leider doch.« Havreux schüttelte erneut den Kopf. »Die wirklich mächtigen haben … Statthalter in dieser Welt. Hexer, die mit ihnen einen Pakt geschlossen haben: mehr Macht gegen ihre … Ergebenheit. Im Gegensatz zu den Dämonen können diese Männer und Frauen problemlos zwischen den Welten hin- und herwechseln. Allerdings heißt es, dass die Magie eines Hexers umso mehr pervertiert wird, je länger er sich in den Schatten aufhält. – Die Dämonen benutzen sie, um junge Hexen und deren Magie an sich zu binden, sie ›einzubrechen‹.«
»Einzubrechen?« Allein das Wort ließ Ella die Schultern hochziehen.
»Eine Kombination aus Sex und Magie.«
»Für mich klingt das mehr nach … Vergewaltigung.«
Havreux sah auf seine Hände. »Manchmal ist es das. Aber sehr selten. Meistens weiß die Hexe sehr genau, was sie tut. Und in den anderen Fällen geschieht das Ganze unter dem Deckmantel einer Initiation. Bis die Hexe merkt, was
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